Ermittlung von Niederschlagsmengen
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Wenn vom Regenwasser die Rede ist, denkt man sofort an die Kollegen Dachdecker oder Klempner. Und tatsächlich ist der Bereich der Ableitung von Wasser von den Dächern der Gebäude zu einem Großteil zu diesen Handwerken abgewandert. Aber dennoch kommt es vor, dass der Anlagenmechaniker sich mit dem „Guten von oben“ auseinandersetzen muss – nämlich dann, wenn eine Versickerung auf dem Grundstück nicht möglich ist. In diesem Fall gilt es, die Mengen an Niederschlagswasser über die Misch – oder Regenwasserleitungen abzuführen. Damit das reibungslos passieren kann, ist es natürlich wichtig, die wahrscheinlich anfallenden Wassermengen berechnen zu können.
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Wie viel Regenwasser fällt an?
Die Regenwasserleitungen werden entsprechend der DIN EN 12056-3 [1] in Verbindung mit der DIN 1986-100 [2] nicht für ein größtmöglich denkbares Regenereignis ausgelegt. Solche Wolkenbrüche kommen statistisch gesehen in 100 Jahren nur einmal für eine Dauer von fünf Minuten vor. Man spricht dann von einem „Fünf-Minuten-Regen in 100 Jahren“ (r(5,100)). Eine Auslegung des Entwässerungssystems auf die Regenwassermengen eines Jahrhundertregens würde bedeuten, dass die Anlage für die meiste Betriebszeit zu groß dimensioniert ist. Um eine teure und somit auch unwirtschaftliche Regenwasserableitung zu vermeiden, wird ein Überlastungsbetrieb bei überdurchschnittlich ergiebigen Regenereignissen in Kauf genommen: Regenrinnen werden so installiert, dass sie überlaufen können ohne dass dadurch Schäden am Gebäude entstehen. Flachdächer entwässern sich im Falle des Falles über Notüberläufe, usw. Im Falle eines normalen Regenereignisses müssen die Regenwasserleitungen allerdings in der Lage sein, die Niederschlagsmengen vollständig abführen zu können. Um diese Mengen zu ermitteln, müssen die wirksame Dachfläche (A) ermittelt und das örtlich zu erwartende Regenereignis (Berechnungsregenspende r) festgestellt werden. Diese Werte führen zur Feststellung des Regenwasserabflusses (Q).
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Welche Dachfläche ist wirksam?
Regnet es pfeilgrade herab, fällt der Regen also quasi im rechten Winkel zur Geländeoberfläche vom Himmel, spielt die Größe der Dachfläche keine Rolle. Maßgeblich für die Klärung der Frage, welche Regenwassermengen es abzuführen gilt, ist die Größe der Fläche, die das Dach überspannt, auch Dachgrundfläche genannt.
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Beispiel: Auf 10 m² Geländefläche regnet es grade nieder. Auf dieser Fläche fällt in einer Sekunde eine Regenwassermenge von X Litern an. Wird über der Fläche ein Satteldach errichtet, vergrößert sich durch die schrägen Dachflächen zwar die Fläche, die nass wird; es fällt aber ebenfalls nur die Regenwassermenge von X Litern in der Sekunde an. Denn würde man die 10 m² Geländefläche „über das Satteldach halten“, würden die Dachflächen nicht mehr nass, die Grundfläche aber mit der gleichen Wassermenge beschickt, wie der, die vor der Errichtung des Daches anfiel.
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Mit der DIN EN 12056-3 [1] geht man bei der Ermittlung des Regenwasserabflusses grundsätzlich davon aus, dass es immer im rechten Winkel zur Geländeoberfäche regnet. In diesem Fall kann die Dachgrundfläche, also die Fläche die das Dach überspannt, als wirksame Dachfläche (A) angesehen werden. Nur dann, wenn damit zu rechnen ist, dass der Wind Einfluss auf das Regenereignis nehmen kann, muss dieser Faktor in die Berechnung mit einfließen. Kommt es zu einem Schlagregen (bei dem der Regen mit einer Neigung zur Senkrechten von 26° oder mehr fällt), trifft er nicht mehr von oben sondern mehr seitlich auf das Satteldach. In diesem Fall muss auch die Größe der Dachfläche – und nicht nur die der Dachgrundfläche – bei der Ermittlung der wirksamen Dachfläche (A) berücksichtigt werden.
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Beispiel: Würde man – wie bei der Annahme eines Regnens im rechten Winkel zur Geländeoberfläche – bei einem Schlagregen die Grundfläche wieder „über das Satteldach halten“, würde in diesem Fall dennoch ein Teil der Dachfläche des Satteldaches nass.
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Fazit: Für die Ermittlung des Regenwasserabflusses (Q) bei Schlagregen wird die wirksame Dachfläche (A) aus der Dachgrundfläche zuzüglich der Hälfte der Dachoberfläche errechnet.
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Wind gegen die Wand
So verhält es sich auch, wenn der Regen vom Wind an eine Hauswand getrieben wird und das Regenwasser von der Hauswand auf ein Dach ablaufen kann. In diesem Fall wird die Hälfte der Wandfläche der Dachgrundfläche hinzugerechnet und so die wirksame Dachfläche (A) ermittelt. Muss davon ausgegangen werden, dass der Regen senkrecht zur Dachfläche fällt – sich das Dach quasi dem Wind und Wetter direkt entgegenstemmt – wird die tatsächliche Dachoberfläche mit der wirksamen Dachfläche gleichgesetzt. Wie bereits angeführt, wird in Deutschland eine Windeinwirkung nur in Ausnahmefällen bei der Ermittlung der wirksamen Dachfläche berücksichtigt. Etwa dann, wenn es sich um ein Haus an der Nord- oder Ostseeküste handelt, das ständig in einer „steifen Briese“ liegt oder ein Gebäude auf dem flachen Land, das keinerlei Windschutz besitzt.
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Festlegung der Berechnungsregenspende
Die Lage des Gebäudes ist auch entscheidend, wenn es um die Festlegung der Berechnungsregenspende geht. Hier greift man auf die statistischen Werte des Deutschen Wetterdienstes zurück. Zudem stehen im Anhang A der DIN 1986-100 [2] beispielhaft Werte für Berechnungsregenspenden der größeren Städte Deutschlands zur Verfügung. Angegeben werden hier Berechnungsregenspenden bezogen auf
- einen Fünf-Minuten-Regen, wie er in zwei Jahren einmal vorkommt (r(5,2))
- einen Fünfzehn-Minuten-Regen, wie er in zwei Jahren einmal vorkommt (r(15,2))
- einen Fünf-Minuten-Regen, wie er in 30 Jahren einmal vorkommt (r(5,30))
- einen Fünfzehn-Minuten-Regen, wie er in 30 Jahren einmal vorkommt (r(15,30))
- einen Fünf-Minuten-Regen, wie er in 100 Jahren einmal vorkommt (r(5,100))
Für die Bestimmung des Regenwasserabflusses greift man auf eine Berechnungsregenspende zurück, die einem Fünf-Minuten-Regen entspricht, wie er alle zwei Jahre einmal vorkommt (r(5,2)). Bei der Betrachtung der Niederschlagsmengen in Deutschland fällt auf, dass – entgegen häufig geäußerter Vermutungen – nicht der Norden der „nasse“ Teil der Republik ist, sondern der Süden. Hier gibt es erhebliche Unterschiede, welche die Notwendigkeit der regionalen Festsetzung der anzuwendenden Berechnungsregenspende verdeutlichen. So empfiehlt es sich auf jeden Fall, die Regenspende für die Regionen in denen am tätig ist, beim Wetterdienst abzurufen: Beispielsweise legt man für Hamburg 258 Liter Wasser fest, die innerhalb einer Sekunde auf einen Hektar Fläche (also auf 10000 m²) niedergehen. In München muss man 335 l/(sha) als Fünf-Minuten-Regen rechnen.
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Welche Wassermenge muss weg?
Wie schnell Regenwasser von einem Dach abfließt, hängt von der Konstruktion und von der Oberflächenbeschaffenheit des Daches bzw. der zu entwässernden Fläche ab. Während wasserundurchlässige Oberflächen, wie ein mit Dachziegeln gedecktes Dach oder ein asphaltierter Hof das Regenwasser etwa in der Geschwindigkeit ableiten, wie es anfällt, verzögert ein Dach mit Kiesschüttung oder ein als Dachgarten gestaltetes Dach das Ablaufen des Regenwassers. Dieser Zeitfaktor wird mit dem Abflussbeiwert (C) berücksichtigt. Es handelt sich hier um einen Hilfswert ohne Einheit, der dazu dient, den errechneten Regenwasserabfluss der tatsächlichen Dachbeschaffenheit anzupassen. Mit Kenntnis der wirksamen Dachfläche (A), der Berechnungsregenspende (r) und des Abflussbeiwertes (C) kann der Regenwasserabfluss (Q) errechnet werden. Das geschieht mit der folgenden Formel:
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Wird die Berechnungsregenspende (r) in der Einheit l/(s⋅ha) und die wirksame Dachfläche (A) in der Einheit m² eingesetzt, wird der Regenwasserabfluss (Q) in der Einheit l/s errechnet. In der Formel ist als Berechnungsregenspende ein Fünf-Minuten-Regen, wie er sich alle zwei Jahre einmal ereignet, vorgesehen. Diese Regenspende ist üblicher Weise Grundlage der Berechnung des Regenwasserabflusses.
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Bei Risiko mehr
Müssen Dächer entwässert werden, bei denen bei einer Überlastung des Entwässerungssystems mit Gebäudeschäden zu rechnen ist, kann es nötig sein, ein intensiveres Regenereignis für die Ermittlung der Regenspende heranzuziehen.
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Beispiel: Ein Gebäude in der Innenstadt ist mit einer innen liegenden Dachrinne ausgestattet. Notüberläufe können zwar angeordnet werden. Das Wasser aus diesen würde aber an der Fassade hinab fließen müssen. Da man diese Situation statistisch gesehen nicht alle zwei Jahre einmal erleben möchte, rechnet man die Dachentwässerung mit der Berechnungsregenspende eines Fünf-Minuten-Regens, wie er alle 30 Jahre einmal vorkommt (r(5,30)).
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Der ermittelte Regenwasserabfluss beschreibt die Wassermenge in Litern, die pro Sekunde abgeführt werden muss, um das gesamte Dach zu entwässern. Werden zur Entwässerung mehrer Fallleitungen eingesetzt, gilt es, die Wassermengen exakt auf die Leitungen zu verteilen. Handelt es sich zum Beispiel um ein symmetrisches Satteldach, das über zwei Fallrohre entwässert wird, führt jedes Rohr den halben Regenwasserabfluss ab. Bei nicht symmetrischen Dachkonstruktionen kann es hingegen nötig sein, den Regenwasserabfluss verschiedener Dachbereiche gesondert zu errechnen.
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Damit ergibt sich, welche Wassermengen an welcher Stelle vom Dach kommen und über die Grundleitung abgeführt werden müssen. Mit dieser Erkenntnis kann der Anlagenmechaniker die Entwässerungsleitungen entsprechend dimensionieren, damit es bei einem Regenguss keine Überschwemmungen gibt - von einem Jahrhundert-Regenereignis mal abgesehen.
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von Jörg Scheele
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Literaturnachweis:
[1] DIN EN 12056-3: Schwerkraftentwässerungsanlagen innerhalb von Gebäuden - Teil 3: Dachentwässerung, Planung und Bemessung
[2] DIN 1986-100: Entwässerungsanlagen für Gebäude und Grundstücke - Teil 100: Zusätzliche Bestimmungen zu DIN EN 752 und DIN EN 12056