Die Kunst zur Warten
Ist es eine Tugend sich in Geduld zu üben? Wenn ja, wann wird diese Tugend zu einer peinlichen Warterei oder gar zu einem Fall fürs Gericht?
Die zentrale Trinkwarmwasserbereitung ermöglicht in den Mehrfamilienhäusern in Deutschland eine komfortable und hygienische Versorgung. Vor dem Zulauf zu den einzelnen Wohnungen wird ein Wasserzähler eingebaut um eine korrekte Abrechnung der Verbräuche durchführen zu können. Dies hat zur Folge, dass die Zirkulationsleitung nicht in die Wohnung geschliffen werden kann. Klar, denn sonst würde der Warmwasserzähler das Zirkulationsvolumen als Verbrauch registrieren.
Wo liegt das Problem?
Eine wichtige Hygieneanforderung lautet, dass das stagnierende Volumen drei Liter nicht überschreiten soll. Das entspricht ca. 22 Meter Cu- Rohr der Dimension 15 x 1. Auch in sehr ungünstig verlaufenden Grundrissen eines Mehrfamilienhauses lässt sich diese Beschränkung meistens einhalten. Betroffen von einem etwas größeren Stagnationsvolumen sind regelmäßig die Küchenanschlüsse einer Wohnungsinstallation. Klar, denn der Steigestrang liegt oft im Bad. Die Küche weist den längsten Weg auf. Betrachtet man aber das Volumen von drei Liter als Maximum, kann man kurz rechnen. Bei einer genormten Entnahme von 0,07 Liter pro Sekunde an der Küchenspüle würde man trotz Einhaltung der Drei-Liter-Grenze fast 43 Sekunden auf warmes Wasser warten. Wenn Sie das Lesen dieses Berichts jetzt mal kurz unterbrechen und bitte bis 43 zählen, kommt ihnen das recht lange vor. Noch länger wird es Ihnen vorkommen, wenn Sie einen mit Fett verschmierten Teller mit heißem Wasser abspülen wollen, bevor Sie diesen in die Spülmaschine einräumen (die Sinnhaftigkeit dieser Aktion sei mal dahingestellt). Das Problem ist also nachvollziehbar. Obwohl Hygieneanforderungen erfüllt werden, bleiben Komfortansprüche unbefriedigt.
Weitere Einflüsse
Neben den zuvor genannten Einflüssen von Rohrlänge, Innendurchmesser und Entnahmeleistung, sind weitere Einflüsse zu bedenken. Denn es reicht ja noch nicht, dass das Wasser nach 43 Sekunden etwas wärmer wird. Es sollte, um den beschriebenen Teller abzuspülen, schön heiß austreten, sprich gute 45 bis 50 °C erreichen. Dazu muss jetzt erstmal der durch den Entnahmevorgang hervorgerufene Heißwasserstrom die Rohrleitung erwärmen. Erst wenn diese Leitung sich der gewünschten Temperatur von 45 °C annähert, kann man am Ende erfolgreich die Schmiere vom Teller spülen. Eine Erwärmungsphase des Rohres muss also noch überbrückt werden. Sie merken an diesem Beispiel, welches zugegebenermaßen im Grenzbereich stattfindet, dass hier einiges an Diskussionsstoff lauert. Fachliteratur, Normen und Richtlinien sind zum Teil widersprüchlich was eine Regelung angeht. Also, wie kann eine Lösung des sicherlich bestehenden Problems aussehen?
Von Bettler und Königen
In meinen Unterrichten im Bereich der Meister-Ausbildung und bei Vorträgen bemühe ich oft ein Bild, dass mich zwar als bösen Befürworter einer Zweiklassengesellschaft dastehen lässt, der ich allerdings nicht bin (wir haben vier oder fünf). Aber um meine Meinung zu diesem Sachverhalt herauszustellen bemühe ich es wieder, also. Einem Penthouse in bester Lage mit einer Wohnfläche von 215 Quadratmeter schenke ich genauso viel Aufmerksamkeit wie einem Studentenwohnheim mit Gemeinschaftsküche. Aus hygienischer Sicht, werde ich also zum Schutz der Studenten, die Drei-Liter-Regel dort genauso einhalten wie in dem Penthouse. Den lieben Studenten, die ja wahrscheinlich irgendwann in dieses Penthouse ziehen, mute ich aber ein wenig mehr Geduld zu als der Oberärztin in dieser feinen Hochhausdachwohnung. Wenn mich also schon während der Planung die gehobene Ausstattung auf einen gesteigerten Komfortanspruch schließen lässt, werden ein zusätzlicher Steigestrang und für die Küche zwei weitere Zähler installiert. Die Studentenwohnung erhält hygienischen Komfort mit kleinen Abstrichen beim Zeitfaktor. Sämtliche andere Installationssituationen reihe ich irgendwo dazwischen ein.
Und vor Gericht?
Nach einem Urteil des Amtsgerichts Schöneberg (102 C 55/94) muss spätestens nach zehn Sekunden bzw. höchstens nach fünf Liter Wasserdurchsatz eine Temperatur von 45 Grad zur Verfügung stehen. Dieses Urteil halte ich für unrealistisch, bezogen auf die Einhaltbarkeit. Es berücksichtigt einige wichtige Faktoren nicht. Pauschal zehn Sekunden festzuhalten bedeutet, dass dies unabhängig von der Entnahmearmatur und dessen Entnahmeleistung betrachtet werden könnte. In einer zugewachsenen Stahlrohrinstallation mit einer uralten Waschtischarmatur und verkalktem Perlator wird beim Öffnen ungleich weniger Wasser austreten als bei einer Neuinstallation mit modernen druckverlustarmen Armaturen. Für beide Installationen könnte die Zehn-Sekunden-Hürde aber schon zu hoch sein. Die Grenze von fünf Liter nach Beginn der Entnahme halte ich auf den ersten Blick für akzeptabel. Leider gibt es zu wenig Forschung in diesem Bereich. Vielleicht können die Hersteller von Rohren, deren Material besonders leicht erwärmbar ist, etwa Kunststoff, entsprechende Versuchsreihen fahren. Diese Forschungsergebnisse könnten dann für realistische Eingaben in die Normenausschüsse genutzt werden. Der quasi rechtsfreie Bereich dieses speziellen Installationsproblems könnte dann im Sinne der Beteiligten geschlossen werden.
Und ich könnte wieder was neues schreiben. Übrigens schwärmt die Penthouse-Bewohnerin noch lange von dieser Zeit im Studentenwohnheim, in der man sich beim Warten auf das Warmwasser ein gutes Gläschen Sangria einschütten konnte. Wetten!
Autor