Wie funktioniert eine Druckströmungsentwässerung?
Wer den Beruf des Anlagenmechanikers nicht kennt, der macht sich, wenn überhaupt, selten Gedanken darüber, wie man großflächige Hallendächer entwässert.
Im Vorbeifahren nimmt der Laie vielleicht während eines Regenschauers noch wahr, dass dort ungeheure Mengen Wasser anfallen. Schon bei einem Regen, der statistisch nur alle zwei Jahre und für fünf Minuten stattfindet sind das beispielsweise in Bad Tölz 416 Liter pro Sekunde betrachtet auf einem Hektar Fläche. Zu abstrakt? Ein Hektar entspricht einer Fläche von 10.000 Quadratmeter und diese Fläche ergibt sich bei der quadratischen Grundfläche einer Halle mit 100 Meter Kantenlänge. Wenn also auf ein Dach mit diesen Ausmaßen in jeder Sekunde 416 Kilogramm Gewicht abgeladen werden, dann sollte man sich Gedanken machen wie diese Masse wieder runter kommt. Dieser Bericht zeigt auf, wie insbesondere Flachdächer mit diesen Wassermengen klarkommen können, wenn es sich denn um eine Druckstromentwässerung handelt.
Standardkonzept
Üblich und althergebracht für ein Flachdach ist die Freispiegelentwässerung. Als Einläufe für das Regenwasser werden dort an Gefälletiefpunkten die Gullys gesetzt. Diese münden dann schnurstracks in Fallleitungen und enden in Grundleitungen. Die Leitungen dieses Systems sind bestimmungsgemäß nur teilgefüllt. Das bedeutet, dass ein Rohrquerschnitt, egal ob liegend oder fallend, nicht komplett mit Wasser gefüllt angenommen wird. Erst hinter einem Schacht mit offenem Durchfluss dürfen planmäßig Vollfüllungen angenommen werden, allerdings ohne entstehenden Überdruck. Sämtliche Rohre der Freispiegelentwässerung weisen ein Gefälle auf, angefangen von einem Mindestgefälle von 0,5 Zentimeter je laufenden Meter. Dieses Konzept ist ausgetüftelt und erprobt. Damit nicht jede Entwässerung dieses Typs neu erdacht werden muss gibt es Normen, wie die DIN 1986-100 oder DIN EN 1253-1 um entsprechend erfolgreich die Gullys und Rohrleitungen mit ihrem jeweiligen Gefälle abzustimmen.
Druckkonzept
Bei Druckströmungsentwässerung werden besondere Gullys eingesetzt. Diese leiten das Wasser augenscheinlich ebenso ab wie bei einer Freispiegelentwässerung. Die Leitungen sind aber dünner und werden meist unter der Hallendecke verzogen. Mehrer Gullys münden in eine Fallleitung mit einem ungewöhnlich dünnen Querschnitt. Die Verziehungen unter der Hallendecke weisen kein Gefälle auf. Ausgelegt werden die Rohrleitungen für eine Vollfüllung. Das bedeutet, die Leistungsfähigkeit hängt davon ab, dass das Regenwasser in solchen Mengen abläuft, dass es sich gewissermaßen innerhalb der Leitung zusammenhängend bewegt. Bei einem Nieselregen wird das nicht der Fall sein. Dann verhält sich dieses System ebenso wie der zahme Bruder, die Freispiegelentwässerung. Erst bei einem ordentlichen Regenschauer füllen sich auch die Fallrohre komplett. Dann rast das Regenwasser, begleitet von einer entsprechenden Geräuschkulisse mit Getöse in die Tiefe in Richtung Grundleitungen. Diese werden jedoch wieder nur für eine Teilfüllung vorgesehen verlegt.
Was denn jetzt?
Einerseits Teilfüllung, dann Vollfüllung, dicke Leitung, dünne Leitung, Gefälle oder waagerechte Verlegung. Irgendwie scheint man sich da nicht so einig zu sein. Das Prinzip der hier gegenübergestellten Entwässerungssysteme ist jedoch sehr unterschiedlich. Bei der Freispiegelentwässerung sorgt der Höhenunterschied durch Gefälle für ein Vorankommen des Wassers im Rohr. Bei einer Druckströmungsentwässerung stammt die treibende Kraft aus der Fallleitung. Diese wird mit entsprechend kleinem Querschnitt ausgeführt, so dass bei einem stärkeren Regen ein Vollfüllung zu erwarten ist. Und diese Vollfüllung erzeugt eine Saugwirkung. Folgendes Gedankenmodell hilft beim Verständnis.
Gedankenmodell
Man stelle sich den Kolben in einer gewöhnlichen Spritze vor. Zieht man diesen nach hinten, um eine Flüssigkeit vorn an der Spitze einzusaugen, so fördert der entstehende Unterdruck die Flüssigkeit in den Hohlraum. Sogar gegen die Schwerkraft lässt sich auf diesem Wege Wasser in den Hohlraum bewegen. Und es ist nur im ersten Moment der Kolben, der die Flüssigkeit berührt und hineinzieht. Sobald die Flüssigkeitsmenge den Kolben bedeckt überträgt die Flüssigkeit die Saugwirkung weiter auf die nachströmende Flüssigkeit. Es ist also völlig unerheblich, wer ganz am Ende zieht, Kolben oder bereits eingesaugte Flüssigkeit. Entscheidend ist nur die entstehende Saugwirkung (korrekt, der negative Überdruck). Und jetzt zurück vom Spritzenmodell zur Druckströmungsentwässerung. Die Vollfüllung in der Fallleitung stellt den Kolben der Spritze dar. Dieser Wasserkolben zieht mit seiner Gewichtskraft das Wasser nach unten. Je höher die Fallhöhe dieser Wassersäule in den Fallrohren, desto kräftiger zieht diese an den nachströmenden Wassermengen.
Kaufen von der Stange?
Es stellt sich natürlich die Frage, wie man diese Art der Entwässerung auslegt. Kann man da wie bei einer Freispiegelentwässerung einfach die notwendigen Gullys und Rohrquerschnitte zusammenstellen? Wohl kaum. Ein Druckströmungssystem bedingt immer eine individuelle Einzelplanung. Dazu werden anhand der zu entwässernden Flächen entsprechende Gullys ausgewählt. Mehrere Gullys werden dann mit einer Fallleitung verbunden. Die Dimensionen der Rohrleitungen sind jedoch nicht in gewohnter Weise zu wählen. Jener Gully, der am nächsten zur Fallleitung liegt, würde dann nämlich die stärkste Saugwirkung erfahren. Der entfernteste Gully käme in der Folge auf den geringsten Saugeffekt. Sämtliche andere Gullys lägen irgendwo dazwischen (siehe Skizze). Zum hydraulischen Abgleich versieht man die Gullys also mit einem geeigneten Querschnitt. Dabei ist das System nicht so empfindlich wie eine Heizungsanlage. Eine Druckdifferenz von bis zu 100 Millibar ist noch nicht störend. Da der Abgleich aber auch nur durch eine begrenzte Anzahl an Rohrnennweiten erfolgt, sind die Einflussmöglichkeiten aber auch nicht so fein abstimmbar. Der hydraulische Abgleich einer Heizungsanlage kennt da schon feinere Kniffe.
Noch Besonderheiten?
Systeme dieser Art sind in der Regel nicht für eine komfortbetonte Auslegung vorgesehen. Beispielsweise werden große Einkaufshäuser nicht mit einem solchen System versehen. Allein die Geräuschentwicklung bei einem Jahrhundertschauer würde wahrscheinlich Panik-Attacken bei den Kunden auslösen. Der Einsatz beschränkt sich daher auf Lagerhallen und Industriebauten. Dort kommen die Kostenvorteile hervorragend zur Geltung. Die Verlegung der ungewöhnlich dünnen Sammelleitungen ohne Gefälle bringt auch bautechnische Pluspunkte. Die am Dach befestigten Gewichte fallen geringer aus als bei einer Freispiegelentwässerung. Die jeweiligen Systemanbieter Von Druckströmungsentwässerungen bieten meistens eine Auslegung des gesamten Systems an.
Vorteile der Druckströmungsentwässerung
- Weniger Fallleitungen lassen eine bessere Nutzbarkeit des Gebäudes zu
- Rohrleitungsführung ohne Gefälle unter dem Dach, durch Unterzüge und Träger auf einheitlichem Höhenniveau
- Deutlich geringerer Rohraufwand durch erheblich kleinere Rohre
- Wenig Fallleitungen
- Weniger Tiefbauarbeiten durch weniger Grundleitungen
- Kostengünstige Notentwässerung