So viel steht fest: Ausbildung sieht anders aus! Statt in der Berufsschule und in Lehrgängen der überbetrieblichen Unterweisung sitzen viele Auszubildende derzeit im Home Office. Die Praxis im Betrieb fällt für sie aus, weil dieser während des Lockdowns nicht öffnen darf oder der Ausbilder schlimmstenfalls an Corona erkrankt ist.
Mit solchen Einschränkungen ihrer Ausbildung müssen sich Lehrlinge laut der aktuellen Personalleiterbefragung des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung und der Zeitarbeitsfirma Randstad derzeit in mehr als jedem dritten Unternehmen abfinden. In sieben von zehn Betrieben hat dies dazu geführt, dass Azubis erhebliche Wissenslücken haben. Jeder zweite Teilnehmer der Umfrage berichtet, dass die Rückstände so groß sind, dass sie bislang nicht aufgeholt werden konnten.
Viele Handwerkskammern (HWK) interessiert das jedoch wenig. Sie wollen Lehrlinge trotz der Unterrichtsausfälle und Verzögerungen in der praktischen Ausbildung im Juni und Juli prüfen. Auch Abstriche bei den Prüfungsinhalten wollen sie nicht machen. „Die Prüfungsanforderungen sind in den Ausbildungsordnungen beschrieben und können nicht verändert werden“, erklärt beispielsweise die HWK Köln.
Kleines Zückerchen
Entgegen kommen viele Kammern Auszubildenden nur insofern, als sie diese 2021 auch dann zur Abschlussprüfung zulassen, wenn Lehrlinge pandemiebedingt keine Zwischenprüfung ablegen konnten. Auch auf Nachweise über die Teilnahme an Lehrgängen der überbetrieblichen Unterweisung verzichten die Kammern, wenn Kurse nicht stattfinden konnten, weil Bildungseinrichtungen wegen Corona geschlossen waren.
Mehr Zeit, um durch die Pandemie versäumte Lernmöglichkeiten nachzuholen, geben die meisten Kammern Prüflingen aber nicht. Statt Prüfungstermine zu verschieben, reichen sie den schwarzen Peter an Auszubildende und ihre Arbeitgeber weiter und erklären, diese könnten nach Paragraf 8 Absatz II des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) eine Verlängerung der Ausbildungszeit beantragen.
Bedingungen für Verlängerung
Wenn „nach mehrwöchigem Unterrichtsausfall die Sorge“ besteht, „dass das Ausbildungsziel nicht erreicht wird“, so die HWK Köln, kann verlängert werden. Die Verlängerung werde jedoch nur im „Einzelfall“ gewährt, wenn Prüfling und Ausbilder darlegen können, dass das Ziel der Berufsausbildung noch nicht erreicht wurde, weil wesentliche Teile der Ausbildungszeit wegen Quarantänemaßnahmen, Schließungen des ausbildenden Betriebs oder der Berufsschule sowie der Absage von Kursen der überbetrieblichen Unterweisung ausgefallen sind. Gibt die Kammer dem Antrag statt, verlängert sich die Ausbildung dadurch nach Paragraf 21 Absatz III BBiG „bis zur nächstmöglichen Wiederholungsprüfung, höchstens um ein Jahr.“ Mit der Ausbildungszeit, verlängert sich dann auch das Ausbildungsverhältnis mit dem Betrieb.
Was tun, ohne Verlängerung?
Verweigert die Kammer die Verlängerung jedoch und muss ihre Prüfungstermine wider Erwarten dennoch verschieben, stehen Auszubildende unter Umständen ohne Arbeitsvertrag da. Denn dieser endet im Normalfall spätestens zu dem in ihm angegebenen Datum. In der Regel finden die Abschlussprüfungen ja vor diesem Zeitpunkt statt.
Besondere Situationen
In diesem Jahr könnte eine weitere Verschärfung der Pandemie aber dazu führen, dass Prüfungen entgegen der Beteuerungen der Kammern doch nicht vor dem Tag stattfinden, an dem die Verträge der meisten Auszubildenden enden. Dann müssen diese ihren Ausbildungsbetrieb um eine Verlängerung ihres Ausbildungs-Arbeitsverhältnisses bitten. Das können sie mündlich, schriftlich oder durch schlüssiges Handeln tun.
Über eine Verlängerung ihres Ausbildungsvertrags müssen Lehrlinge auch dann mit ihrem Arbeitgeber sprechen, wenn ihre Gesellenprüfung nach Paragraf 26 des Gesetzes zur Ordnung des Handwerks „in zwei zeitlich auseinanderfallenden Teilen durchgeführt wird“. Sonst kann es passieren, dass der erste Teil ihrer Prüfung stattfinden kann, sich der zweite Teil aber verschiebt. Endet der Ausbildungsvertrag zwischen beiden Terminen und der Lehrling unternimmt nichts, hat er am Tag der zweiten Prüfung keinen Ausbildungsvertrag mehr.