Abwasser muss ablaufen. So einfach kann die Kernaufgabe eines häuslichen Entwässerungssystems erläutert werden. Wer dabei aber vermutet, dass hierfür nur die Leitungen gefragt sind, durch die Abwasser hindurchfließt, wandelt auf dem Holzweg. Denn wenn in den Fallleitungen Mengen an Abwasser abfließen, dann kommt auch Lufttechnisch so einiges in Wallung. Hier Ausgleich zu schaffen und dafür zu sorgen, dass alles gut (ab-)läuft, ist dann auch Sache der Lüftungsleitungen.
Fäkalien nicht unendlich schnell?
Faktisch ist der Begriff „Fallleitung“ falsch. Früher, als dieser Leitungsteil benannt wurde, hat man angenommen, dass das Abwasser in dieser Leitung tatsächlich abstürzt. Deshalb nennt man diese Leitung ja auch „Fallleitung“. Die Fallleitungen in höheren Gebäuden wurden damals sogar mehrfach verzogen. Die fast waagerechten Leitungsstrecken sollten verhindern, dass Abwasser und Fäkalien zu schnell wurden und beim Aufprall die liegenden, weiterführenden Leitungen wohl möglich beschädigten. Bei einer Fallstrecke von zB. 25 Metern vermutete man eine „Fäkalienreisegeschwindigkeit“ von über 30 m/s beim Auftreffen auf die liegenden Anlagenteile. Richtig ist, dass die Geschwindigkeit des Abwassers in Fallleitungen erheblich ist. Die Annahme, dass diese mit zunehmender Fallhöhe immer größer wird, stimmt allerdings nicht. In der Fallleitung ist nämlich nicht nur Abwasser unterwegs, sondern auch Luft, die dem Druckausgleich dient.
Die Luft strömt in der Mitte der Leitung und drückt das Abwasser an die Wandung des Rohres. Das Abwasser fließt folglich in die Tiefe, es fällt nicht hinab. Somit entsteht eine Reibung an der Rohrwandung und es ist zudem ein Luftwiderstand vorhanden. Die Folge davon ist eine Begrenzung der Fließgeschwindigkeit des Abwassers – unabhängig von der Fallhöhe – auf rund 12 m/s. Aber auch eine begrenzte Wassergeschwindigkeit zieht ein Luftvolumen mit sich. Und diese Luftmenge hat es in sich. Über den Daumen betrachtet kann man davon ausgehen, dass von einer ablaufenden Wassermenge die 10- bis 35-fache Menge an Luft mitgerissen wird.
Luft und Gase müssen weg
Be- und Entlüftungsanlagen sorgen hier für den Druckausgleich und verhindern, dass Gluckergeräusche an den Ablaufstellen entstehen oder sogar das Sperrwasser aus Geruchverschlüssen abgesaugt wird. Dies geschieht zum einen dadurch, dass über die über Dach führende Lüftung Luft zum Druckausgleich angesaugt wird. Unten schiebt das aus der Fallleitung in die Sammel- oder Grundleitung stürzende Wasser eine gewisse Luftmenge vor sich her. Sie wird in die liegende Leitung geschoben und muss hier die Möglichkeit haben, abströmen zu können. Deshalb dürfen in Sammel- und Grundleitungen keine Geruchverschlüsse, Rückstauverschlüsse oder vergleichbare Luftsperren eingebaut werden. Solche Einbauten halten die Luft fest und lassen beim Ablaufvorgang einen Gegendruck entstehen. Sie sind in Grund- und Sammelleitungen nur dann vertretbar, wenn es sich um Nebenleitungen handelt, über die kein Wasser aus Fallleitungen fließt. Aber nicht nur die durch den Ablaufvorgang in Wallung gekommene Luft muss ihren Weg finden. Über Entwässerungsanlagen werden organische Stoffe abgeführt. Diese Fäkalien und Speisereste werden nicht mit einer Spülkastenfüllung komplett aus einem Haus-Entwässerungssystem herausgespült. Das bedeutet, dass diese auch mal eine Zeit im Rohr verweilen. Sind Behälter im Einsatz – wie bei Fettabscheidern und Hebeanlagen – gilt das mit der gewissen Verweilzeit ohnehin. Die Stoffe beginnen schon innerhalb der Entwässerungsanlage zu vergären. Übel riechende, zum Teil auch giftige oder explosible Gase sowie Wärme entstehen dabei. Die Wärme lässt die Gase nach oben aufsteigen. Hier müssen sie entweichen können. Unterstützt wird das Abziehen der Gase auch dadurch, dass sich ein Durchzug vom belüfteten Straßenkanal bis hin zur Lüftung des Entwässerungssystems aufbaut. Ein Grund mehr dafür, die Grund- und Sammelleitungen nicht mit Geruchverschlüssen oder Klappen zu verbauen.
Luftzufuhr mit System
In jedem Entwässerungssystem muss eine Luftzufuhr von über Dach vorhanden sein. In der Regel geschieht dies, indem die Fallleitungen bis über Dach geführt werden. In Entwässerungssystemen, die keine Fallleitungen haben, muss mindestens eine über Dach führende Lüftungsleitung installiert sein. Wird die Fallleitung über Dach geführt, bezeichnet man diese Art der Lüftung als Hauptlüftung.
Diese Hauptlüftung ist in der Regel an jeder Fallleitung vorhanden. Man unterscheidet die Einzelhauptlüftung und die Sammelhauptlüftung. Eine Einzelhauptlüftung liegt vor, wenn jede Fallleitung des Entwässerungssystems gesondert über Dach geführt wird. Werden die Lüftungsleitungen zweier oder mehrerer Fallleitungen zusammengefasst und dann mit einer (gemeinsamen) Leitung über Dach gebracht, spricht man von einer Sammelhauptlüftung. Sie ist sinnvoll, wenn in einer Anlage zahlreiche Fallleitungen zu entlüften sind und man die Anzahl der Dachdurchdringungen reduzieren möchte. Während bei einem Hauptlüftungssystem in den Fallleitungen auch die zum Druckausgleich nötige Luft strömen muss, wird bei einer direkten Nebenlüftung
neben der Fallleitung eine zweite Leitung angebracht, in der nur die Luft fließen soll. Diese Leitung wird in jedem Geschoss mit der Fallleitung verbunden. Somit steht fast der ganze Leitungsquerschnitt der Fallleitung dem Abwasser zur Verfügung. Besonders dann, wenn Fallleitung mehrfach verzogen werden müssen, ist der Einbau einer indirekten Nebenlüftung sinnvoll. Sind in jeder Etage eines Gebäudes lange und / oder hoch belastete Anschlussleitungen installiert, kann deren Belüftung erforderlich sein. In diesem Fall besteht die Möglichkeit, die separate Lüftungsleitung nicht direkt neben der Fallleitung, sondern an den Enden der Anschlussleitungen vorbei zu verlegen. Über die Anschlussleitungen hat die Lüftungsleitung dann in jedem Geschoss die Verbindung zur Fallleitung. Die Lüftungsleitung selbst wird separat über Dach geführt oder im oberen Bereich wieder auf die Hauptlüftung der Fallleitung zurückgeführt. Die Lüftungsleitung liegt also nicht mehr direkt neben der Fallleitung, was ihr den Namen „indirekte Nebenlüftung“ einbrachte.
Sind nicht in jedem Geschoss Anschlussleitungen angebracht, die an ihrem Ende belüftet werden müssen, kann man auf eine Umlüftung zurückgreifen. Am Ende der Anschlussleitung wird dafür eine Lüftungsleitung angeschlossen, die in dem Geschoss, in dem die Anschlussleitung liegt, wieder auf die Fallleitung geführt wird. Das geschieht mit einem 135 °-Lüftungsbogen.
Ein Sekundärlüftungssystem ist in Deutschland nur selten anzutreffen. Diese Art der Belüftung findet ihr Einsatzgebiet vornehmlich in den USA. Bei einer klassischen Sekundärlüftung wird jede Ablaufstelle mit einem Lüftungsanschluss versehen. Die Leitung, die einem einzelnen Ablauf Luft zuführt, bezeichnet man als Einzellüftung. Sie mündet in eine Sammellüftung, die dann zum Lüftungsstrang hin führt. Der Lüftungsstrang selbst ist mit der Fallleitung oder mit der Sammelleitung (oder Grundleitung) verbunden; oben wird er auf die Hauptlüftung der Fallleitung zurückgeführt oder separat über Dach gezogen. Vorteil des Sekundärlüftungssystems ist es, dass jede einzelne Ablaufstelle belüftet ist. Das Abwasser führende Rohrsystem muss also tatsächlich nichts anderes als Abwasser ableiten. Eine Luftzirkulation in diesen Leitungen ist nicht nötig. Sie können mit Vollfüllung betrieben werden. Die Verstopfungsgefahr ist für diese Leitungen folglich sehr gering.
Ventile als Lüftungsersatz
Im Normalfall muss jede Fallleitung als Hauptlüftung über Dach geführt werden. In Ein- und Zweifamilienhäusern ist es zulässig, die Hauptlüftungen der Fallleitungen durch Belüftungsventile zu ersetzen, wenn in diesem Gebäude mindestens eine der Fallleitungen als Hauptlüftung über Dach geführt wird. Allerdings sollte man beachten, dass die Belüftungsventile der DIN EN 12380 entsprechen und bauaufsichtlich zugelassen sind. Eine Hauptlüftung muss also mindestens im System vorhanden sein – denn wie der Name schon sagt, können diese Ventile das Entwässerungssystem nur belüften und nicht entlüften. In Drei- und Mehrfamilienhäusern dürfen Belüftungsventile die Hauptlüftungen von Fallleitungen grundsätzlich nicht ersetzen. Belüftungsventile sind hier lediglich als Ersatz für eine Umlüftung oder für eine indirekte Nebenlüftung zulässig. Im rückstaugefährdeten Bereich dürfen Belüftungsventile grundsätzlich nicht eingebaut werden. Unzulässig ist es auch, geschlossene Behälter, wie geruchsdichte Tanks einer Fäkalienhebeanlage, über Belüftungsventile zu be- und entlüften. Diese Behälter müssen ihre Luft über eine Leitung aus dem Freien beziehen. Zulässig ist es auch, die Behälterlüftung auf eine direkte Nebenlüftung oder Sekundärlüftung zu führen. Wenn der Einsatz von Belüftungsventilen möglich ist, dürfen nur solche mit Zulassung des Deutschen Instituts für Bautechnik Verwendung finden. Werden sie unter Putz (innerhalb einer Vorwand-Installation) eingebaut, müssen sie für einen eventuell nötigen Austausch zugänglich bleiben. Ebenso muss Luft diese erreichen können; die Vorwand ist folglich mit einer entsprechenden Belüftungsöffnung auszurüsten.
Regeln für die Lüftungsleitung
Grundsätzlich dürfen Lüftungsleitungen nur an lotrechte Teile von Entwässerungsanlagen angeschlossen werden. Ein Anschluss der Lüftungsleitung an liegende, Abwasser führende Leitungen birgt immer die Gefahr von Rückspülungen und somit auch Querschnittverengungen in sich. Lüftungsleitungen sind zudem immer möglichst gradlinig bis über Dach zu führen. Sind Verziehungen in Lüftungsleitungen nicht vermeidbar, müssen die waagerecht ausgeführten Leitungsteile so verlegt werden, dass eindringendes Regenwasser oder auch Kondenswasser in Fließrichtung des Abwassers ablaufen können.
Gegengefälle ist folglich auch in Lüftungsleitungen unzulässig! An den Tiefpunkten würde sich das Wasser ansammeln, den Querschnitt der Leitung verengen oder irgendwann sogar vollständig verschließen. Lüftungsleitungen sollten daher mit Gefälle verlegt werden. Bei Verziehung einer Fallleitung, die mehr als fünf Geschosse durchläuft, müssen Richtungsänderungen mit Bogen von maximal 45 ° ausgeführt werden – d. h.
Umlenkungen in die (fast) waagerechte Leitungsposition sind mit zwei Bogen auszuführen. Zwischen den Lüftungsleitungen und der Ausmündung der Lüftungsleitung über Dach (z. B. in Form eines Lüftungs-Dachziegels) dürfen Lüftungsschläuche als flexible Leitungen eingebaut werden. Diese Schlauchleitung darf jedoch nicht länger als einem Meter sein. Ein längerer Schlauch birgt nämlich die Gefahr in sich „durchzuhängen“ und Kondensat- und Niederschlagswasser wie ein Geruchverschluss aufzufangen. Ab einer bestimmten Wasserstandshöhe wäre dann die Belüftungsfunktion aufgehoben.
Ausmündung über Dach
Lüftungsleitungen müssen über Dach mit einem Lüftungsquerschnitt ausmünden, der dem der Fallleitung entspricht. Mit der derzeitigen Normung wird nicht verlangt, dass die Lüftungsleitung mit ihrem freien Querschnitt über Dach zu enden hat. Sie muss also nicht oben abdeckungsfrei sein. Es kann zum Beispiel ein oben geschlossenes Rohr mit seitlich angeordneten Lüftungsschlitzen eingebaut werden. Die Gesamtsumme der Fläche der Lüftungsschlitze muss dabei lediglich dem Querschnitt der Lüftungsleitung entsprechen. Dachziegelhersteller bieten zudem sogar so eine Art von „Pilzlüftungen“ an, deren Lüftungsschlitze kaum einen Abstand zur Dachoberfläche aufweisen. Die schmalen Lüftungsbereiche können allerdings im Winter vereisen, da aus der Entwässerungsanlage immer feuchte Dämpfe abziehen. Empfehlenswert ist es – wie in den früheren Normungen gefordert – die Lüftung als offenes Rohr über Dach ausmünden zu lassen. Die Ausmündung der Lüftungsleitung muss zudem mindestens 15 cm oberhalb der Dachfläche liegen. In schneereichen Gebieten muss man hier natürlich noch einiges an Abstand zugeben. Abstand ist auch zu Dachfenstern nötig.
Schließlich sollen die Ausdünstungen aus dem Entwässerungssystem nicht über ein geöffnetes Fenster wieder in das Haus gelangen können. Konkrete Maße, welchen Abstand die Ausmündung einer Lüftungsleitung zu einem Fenster einhalten muss, gibt die Normung allerdings nicht mehr her. Mit anderen Worten: Die Entscheidung, wo eine Lüftung ausmünden kann und wo nicht, liegt beim Anlagenmechaniker. Hier empfiehlt es sich, auf bewährte Abstandsmaße zurückzugreifen, die die alte Norm einst vorgab: Seitlich mindestens zwei Meter Platz zum Fenster oder eine Ausmündung der Lüftung von mindestens einen Meter über dem Fenster verhindern, dass ein Lüften zu unangenehmen Gerüchen in den Räumen führt. Ein richtig ausgewähltes und korrekt installiertes Lüftungssystem sorgt dafür, dass sich die Über- und Unterdrücke, die in den Entwässerungsleitungen beim Abwasserabfluss entstehen, in Grenzen halten. Nur so kann erreicht werden, dass Gluckergeräusche oder sogar leergesaugte Geruchverschlüsse kein Thema sind.