Nutzung von Sanitärinstallationen
.
Wasser muss genug aus der Wand kommen. Und der Abfluss muss natürlich alles schlucken. Wahrscheinlich auf Basis eines von Generation zu Generation weitergegebenen Sicherheitsdenkens (genannt: Angstzuschlag) sind Nennweiten dann auch schon mal etwas größer ausgefallen. Geht’s um Flüssigkeiten, ist das nicht so gut.
.
.
Er rollt in Bochum, der Starlight Express. Nach Angaben der Veranstalter handelt es sich um das erfolgreichste Musical der Welt. Am 12. Juni 2008 fuhr der Express mit seiner Geschichte um die wettstreitenden Eisenbahnen in sein 21. Jahr ein. Fast 7900-mal waren die Schauspieler mit ihren Rollerblades bis dahin auf die Bretter getreten, die die Welt bedeuten. In dem eigens dafür errichteten Theater erwartet den Zuschauer eine Bühnentechnik vom Feinsten. Aber auch die Sanitär-Planer, die dereinst die Halle mit entwickelten, dürften in Sachen der Be- und Entwässerung eine interessante Aufgabe gehabt haben.
.
Ansturm auf die Sanitär-Keramik?
Die Besonderheit dieses Bochumer Theaters ist, dass der größte Teil der Zuschauer von den Bahnen, auf denen Handlung und Wettrennen stattfinden, umrundet ist. Das Publikum sitzt quasi mitten im Geschehen. Das bedeutet, dass während der Vorstellung auch niemand der 1750 Besucher mal eben die Arena verlassen kann. „Gepinkelt“ wird hier nur in der Pause. Man kann sich vorstellen, dass das genau in dieser Zeit einen echten Run auf die Sanitärkeramik zur Folge hat. Da liegt der Schluss nahe, von einer gleichzeitigen Benutzung aller Waschbecken, Toiletten und Urinale auszugehen. Also, die Wassermengen, die die einzelnen Armaturen pro Sekunde bei Benutzung benötigen (man spricht vom Berechnungsdurchfluss) einfach aufaddieren und man kennt den Volumenstrom an Wasser, der herangebracht werden muss...? Bevor wir uns hier nun gedanklich den begehbaren Wasserleitungen nähern, bleibt festzustellen: Selbst bei hoher Frequentierung eines Sanitärraumes - wie es in der Starlight-Halle zu erwarten ist - kommt es nicht zu einer tatsächlich gleichzeitigen Benutzung aller Entnahmestellen. Schließlich benötigt jeder für sein „Geschäft“ unterschiedlich lange, was eine synchrone Armaturenbetätigung sehr unwahrscheinlich macht.
.
Wie viel Wasser hin und zurück?
Im Gegensatz zu einer Gasleitung, bei der es technisch keine Rolle spielt, wenn sie eine Nummer größer als nötig ausgelegt wurde, kann der Angstzuschlag bei Wasser führenden Systemen zum Problem werden. In zu großen Wasserleitungen setzt ein nicht ausreichender Wasserwechsel der Qualität dieses Lebensmittels zu. Und überdimensionierte Abflussleitungen sind verstopfungsgefährdet. Große Durchmesser und wenig (Ab)wasser bedeuten, dass die Feststoffe nicht ausreichend ausgespült werden können. Kann man nicht von einer gleichzeitigen Benutzung von Sanitärobjekten ausgehen, muss man ermitteln wie viel Wasser bei normaler Nutzung der Installation an- und abtransportiert werden muss. Bei Trinkwasser-Installationen addiert man die Berechungsdurchflüsse der Entnahmearmaturen auf. Die Summe, die man so erhält, ist der bereits erwähnte Berechnungsdurchfluss. In Abhängigkeit davon, wie wahrscheinlich es ist, dass mehrere Entnahmestellen gleichzeitig genutzt werden, wird der Berechnungsdurchfluss dann zum Spitzenvolumenstrom reduziert. Der Spitzenvolumenstrom beschreibt den tatsächlichen Wasserbedarf. Da der Wasserbedarf je nach Nutzung des Gebäudes unterschiedlich ist, wird nach
- Wohngebäude
- Hotels
- Büro- und Verwaltungsgebäude
- Kaufhäuser
- Krankenhäuser
- Schulen
differenziert. Jeder Gebäudeart wird eine andere Wahrscheinlichkeit der gleichzeitigen Nutzung unterstellt.
.
.
Von Mietshäusern und Hotels
Ein Beispiel: In einem Mehrfamilienhaus sollen zehn Bäder mit Normalausstattung mit Kalt- und Warmwasser versorgt werden. Pro Bad ergeben sich als Berechnungsdurchflüsse für Kaltwasser (TW) und Warmwasser (TWW):
.
.
Pro Badezimmer kommen also (0,42 l/s + 0,29 l/s =) 0,71 l/s zusammen, für zehn Bäder folglich 7,1 l/s. Da es im Wohngebäude nicht vorkommt, dass alle Entnahmestellen im Bad und dann auch noch in allen Bädern gleichzeitig benutzt werden, greift der Gleichzeitigkeitsfaktor. Und der macht aus den 7,1 l/s Berechungsdurchfluss 1,55 l/s tatsächlichen Bedarf (Spitzendurchfluss). Das bedeutet, dass von den 40 Sanitärobjekten maximal neun gleichzeitig genutzt werden könnten. Würden sich diese zehn Bäder in einem Hotel befinden, so läge der tatsächliche Wasserbedarf hier bei 1,75 l/s. Der größere Wasserbedarf für das Gästehaus liegt darin begründet, dass die Gäste in einem engeren Zeitfenster (morgendliche Auscheckzeit, Frühstückszeit) die Sanitärtechnik nutzen. Oder vielleicht auch an stückweit daran, dass sich ein Hotelgast in Sachen sparsame Wasserverwendung hier einfach anders verhält wie Zuhause. Schließlich ist der Wassergebrauch ja im Zimmerpreis enthalten.
.
.
Gleichzeitigkeit geringer als vermutet
Der Spitzenvolumenstrom ergibt sich aus der Überlegung, dass die tatsächlich gleichzeitige Benutzung einer Anzahl von Entnahmestellen umso unwahrscheinlicher wird, je mehr Entnahmestellen da sind. Hängt nur ein Waschbecken an der Wand, ist die Wahrscheinlichkeit der Gleichzeitigen Nutzung 1, eben weil nur ein Becken da ist. Sind 20 Waschbecken vorhanden, werden sie ja nicht alle gleichzeitig genutzt - die Wahrscheinlichkeit der Nutzung eines bestimmten Beckens sinkt. Dabei ist das Verhältnis von installierten Sanitärobjekten zu tatsächlich gleichzeitig genutzten Sanitärobjekten nicht linear. Die Technische Universität Dresden hat dies in Bezug auf den Warmwasserbedarf von Wohneinheiten untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass in einem Gebäude mit 20 Wohneinheiten in maximal drei Wohnungen gleichzeitig Warmwasser entnommen wird. In einem Haus mit 160 Wohnungen (!) wird gleichzeitig in maximal sechs Wohnungen Warmwasser benötigt. Das zeigt: Bei der Gleichzeitigkeit gilt der magische Merksatz: Je mehr, desto weniger. Übrigens: Hätte man das Nutzungsverhältnis linear betrachtet, hätte man bei 20 Wohnungen mit drei Wohnungen gleichzeitiger Warmwasserentnahme dann den 160 Wohnungen eine Warmwasserentnahme in 24 Wohnungen gleichzeitig unterstellen müssen; viermal mehr als tatsächlich nötig.
.
.
Abwasser - die Kennzahl macht’s
Auch bei der Entwässerung gilt: Je mehr Sanitärobjekte über einen Abfluss entwässern, desto geringer wird der tatsächliche Schmutzwasserabfluss in Bezug auf die Einzelablaufleistung der Sanitärobjekte. Angenommen, die zehn Bäder des bereits erwähnten Mehrfamilienhauses sollen entwässert werden:
.
.
Die Ablaufleistung wird auch als Design Unit (DU) bezeichnet und dann ohne Angabe einer Einheit geschrieben. So entspricht eine Ablaufleistung von z. B. 0,5 l/s schlicht 0,5 DU. Insgesamt ergibt sich so zunächst mal eine Summe Design Units (ΣDU, Berechnungsabfluss) von 3,8. Für das Zehn-Familienhaus insgesamt also ΣDU = 38. Da aber nicht alle 40 Sanitärobjekte gleichzeitig genutzt werden, fließen hier keine 38 Liter Abwasser in einer Sekunde. Um herauszufinden, wie viel Abwasser tatsächlich gleichzeitig auf die Reise geschickt wird, bedient man sich wieder eines Gleichzeitigkeitsfaktors. In der Entwässerung heißt dieser „Abflusskennzahl“ (K). Für Wohngebäude beträgt die Abflusskennzahl K = 0,5. Sie wird angewandt, indem man die Wurzel aus der Summe der Design Units mit ihr multipliziert. Man erhält dann den Schmutzwasserabfluss QWW (Quantity of waste water). Klingt kompliziert, sieht aber als Formel schon harmloser aus:
.
.
Für das Mehrfamilienhaus gilt also:
.
.
Nicht 38 l/s gehen auf die Tour - es sind nur rund 3 l/s. Auch hier wird deutlich, dass die Gleichzeitigkeitsüberlegungen ganz ordentlich etwas ausmachen.
.
.
Beim Abfluss in der Starlight-Halle, der ja eine öffentliche Sanitäranlage, die häufig genutzt wird entwässert, beträgt die Abflusskennzahl K = 1. Es greift zur Reduzierung des Berechnungsabflusses lediglich die Wurzel. Mit anderen Worten: Diese Anlage hat eine doppelt so große Ablaufleistung wie ein Wohngebäude. Und das genügt - wie der Starlight-Express seit mehr als 20 Jahren zeigt - dafür, dass es läuft - oder wohl eher rollt.