Öl unter der Arktis
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Ein Effekt der globalen Erwärmung ist das Abschmelzen der Polkappen. Was für den Eisbären das Aus bedeuten könnte, wird für moderne Nationen von Schatzsuchern zur Chance. Endlich entstehen realistische Möglichkeiten zur Hebung der vermuteten Bodenschätze in diesem sonst so trostlosen Teil der Welt. Schon heute sind die direkten Nachbarn der Arktis emsig dabei die Besitzrechte zu ihrem Vorteil neu zu deuten und zu ordnen.
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Ungebremst kann der Klimawandel das gesamte Weltbild verändern. Sehr gut sichtbar werden klimatische Veränderungen bereits jetzt schon dort, wo extreme Temperaturen herrschen, wie am Nordpol mit zeitweise minus vierzig Grad Celsius. Die Arktis mit zum Teil hunderten von Metern dickem Eispanzer, verändert allmählich ihr Gesicht. Schon machen die ersten Berichte von einem eisfreien Pol Schlagzeilen. Satellitengestützte Aufnahmen und weltweit initiierte Untersuchungen deuten darauf hin, dass das Nordpolarmeer zumindest zeitweise eisfrei werden könnte. Wenn dort tatsächlich Bodenschätze zu heben sind, so waren diese bisher durch den Eispanzer vor einem Zugriff geschützt. Zu hoch waren bisher die zu erwartenden Kosten, wollte man für ein paar Millionen Barrel Öl diese natürliche Barriere durchbrechen. Ironischer Weise könnte der verschwenderische Umgang mit den fossilen Brennstoffen es jetzt auch noch begünstigen weitere Klimakiller gewinnbar zu machen.
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Ein Milliardenspiel
Eine amerikanische Schätzung gibt an, dass rund 90 Milliarden Barrel an Öl im Nordpolarmeer lagern. Ein Barrel, also ein Fass, beinhaltet 159,11 Liter. Ein Würfel mit einer Kantenlänge von über 2400 Kilometern Länge könnte dann mit dem kostbaren Öl gefüllt werden. Zusätzlich wird auch noch ein Erdgasvorkommen von 1,67 Billionen Kubikfuß erwartet. Ein Kubikfuß entspricht 0,028316 Kubikmetern. Umgerechnet entspricht dies einem Erdgasvorkommen von rund 47 Milliarden Kubikmetern, also einem Würfel mit 3600 Kilometer Kantenlänge. Das zusammen würde den Energiehunger der Welt nach aktuellem Stand gerade mal für drei Jahre befriedigen. Doch bei einem Weltmarktpreis von beispielsweise nur 130 Dollar pro Barrel Öl sind, nur für das geschätzte Erdölvorkommen, bereits Summen von 90 Milliarden mal 130 Dollar gleich 11700 Milliarden Dollar im Spiel. Selbst ein Schatzjäger vom Format eines Jack Sparrow würde angesichts von Schätzen in dieser Dimension nervös mit den Füßen wippen. Doch diese vorsichtige Schätzung ist nicht die Einzige weltweit. Einige Schätzungen gehen sogar davon aus, dass bis zu 25% aller weltweiten Öl- und Gasvorräte um den Nordpol herum versteckt sind und auf Entdeckung warten. Das entspräche dann der größten noch abbaubaren Reserve an Kohlenwasserstoffen überhaupt.
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Palmen am Pol?
Die Voraussetzungen zur Bildung von Erdöl bedingen immer die zumindest zeitweise Anwesenheit von Pflanzen. Das mag man sich beim Anblick von riesigen Eisbergen kaum vorstellen, Juckapalmen in der Arktis? Anhand von Untersuchungen in Gesteinsschichten der nordpolaren Erdkruste konnte aber nachgewiesen werden, dass dort einmal Durchschnittstemperaturen von 23 °C geherrscht haben. Kurz nach dem Aussterben der Dinosaurier vor gut 50 Millionen Jahren waren die Bedingungen zur Bildung von Pflanzen in der Region des heutigen Nordpols also durchaus geeignet. Wachstum von Pflanzen und anschließendes Verschütten dieser Pflanzen in Erdschichten unter hohem Druck ist also mindestens denkbar. Diese fauligen Reste irgendwann wieder an die Erdoberfläche zu holen, dafür war die Eisbarriere bisher zu dick. Bisher.
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Wettlauf um die Schätze
Wie immer, wenn es um große Reichtümer geht, so auch hier, die Schatzjäger strecken gierig die Hände aus. So zum Beispiel die angrenzenden Länder. Die direkten Nachbarn der Arktis fühlen sich berufen die eigenen Ansprüche auf die Arktis zu sichern. Die Länder Dänemark (via Grönland), Kanada, Norwegen, Russland und USA (via Alaska) als Anrainer erhoffen sich ein großes Stückchen vom kalten Kuchen. Als Anrainer erhoffen sich diese Länder einen großzügigen Zuschlag entweder als Staatsgebiet oder mindestens für die Nutzungsrechte. Dieses Bestreben, die Besitzverhältnisse zu klären, ist allerdings nicht neu. Schon aus dem Jahre 1911 sind Rechtsauslegungen bekannt, die das nordische Eis teilweise in die Landbesitztümer des damaligen russischen Zarenreichs einverleibt. Grotesk wirken auch Bemühungen seit den 1980er Jahren: Ein karger Fels namens Hans (eigentlich Tartapaluk) mit einer Größe von nur 1,3 km² wurde zum Spielball zwischen Kanada und Dänemark. Die Aktionen zur Darstellung der eigenen Ansprüche beider Staaten gipfelten bisher darin, dass beide Länder bereits militärische Manöver auf dem grauen Fleckchen Erde abgehalten haben. Aufwendig gestaltet sich auch die Beweisführung Russlands. Im Jahre 2007 statteten Sie eine Expedition mit einem Forschungsschiff und einem atomgetriebenen Eisbrecher, um dann mittels zwei Tauchbooten Fahnen auf dem Meeresgrund zu positionieren. Wohl gemerkt: Man möchte damit symbolisch demonstrieren, dass dieses Territorium der Erde in über 4000 Meter Tiefe nun Mütterchen Russland zuzuschreiben ist. Ein wichtiges russisches Forschungsziel dieser Aktion war es auch, ein unterseeisches Gebirge als Ausläufer des russischen Festlands werten zu können, den so genannten Lomonossow-Rücken. Den schönen Rücken möchte Dänemark ebenfalls als unterseeische Fortsetzung seiner Hoheitsgebiete sehen, nämlich als Ausläufer Grönlands.
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Jedem seinen Sektor?
Fakten schaffen, das scheint zurzeit die Devise der Anrainer zu sein. Sie scheinen auf recht dünnem Eis unterwegs zu sein. Diese öden 21 Millionen Quadratkilometer sind doppelt so groß wie Europa und im Winter fast völlig von Eis bedeckt. Man schwingt die Muskeln nicht nur um irgendwann dort Bötchen zu fahren. Knallharte wirtschaftliche Interessen in der Zukunft führen zu immer neuen Spielereien der Kontrahenten. Die Interpretation der Rechtslage für diese eiskalte Schatzinsel unterscheidet sich aber schon innerhalb dieser engsten Bewerber deutlich. Nur um mal deutlich zu machen wie die Grenzverläufe beurteilt werden könnten, sei das Sektorenprinzip kurz erläutert. Alle Anrainer ziehen von ihren Grenzen ein geraden Strich zum Pol, wie im Bild dargestellt. Die sich ergebenden Sektoren wären dann Hoheitsgebiet der Anlieger. Oder der dessen Gebirgsausläufer in Form des Lomonossow-Rückens unter dem Nordpol lang läuft, dessen Grenzen werden entsprechend ausgedehnt. Vielleicht gibt es noch ein paar schöne Ideen um die abschmelzende Schatzinsel aufzuteilen. Für uns, als Europäer und nicht an den Pol grenzendes Industrieland, gilt der Pol als freie Zone. So, wie abgesehen von einer 200-Meilen-Zone vor den Küsten dieser Welt, eben das Meer insgesamt eine freie Zone ist.
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Kalter Krieg statt Kalkül?
Schon gibt es Stimmen die von der Vorbereitung eines neuen kalten Krieges sprechen. Man rüstet nicht nur verbal auf. Auch die Gesten und Symbole werden deutlicher. In Kanada sollen für insgesamt 5 Milliarden Euro Patrouillenschiffe gebaut werden um die Souveränität des Landes zu schützen. Russland, als eine wiederbelebte Weltmacht, möchte seine Flotte vergrößern und neu aufbauen. Über Sinn und Unsinn kann man angesichts dieser Bestrebungen heftig streiten. Einerseits führte die Ausbeutung der fossilen Ressourcen dieser Welt zur Freilegung weiterer Ressourcen des gleichen Typs. Aber Erdöl und Erdgas unter dem schmelzenden Eis des Nordpols bleibt ein endlicher Rohstoff auf dessen dauerhafte Verfügbarkeit man keinesfalls setzen kann. Wäre es angesichts der anstehenden Probleme nicht ratsamer den Klimawandel zu stoppen oder zu bremsen. Anstatt die Auswirkungen der Klimakatastrophe in Form von Polschmelze schon fast sehnsüchtig zu erwarten sollten die modernen Glücksritter andere Wege beschreiten. Anstatt Unmengen an Geld in arktischen Gewässern zu versenken, sollten nachhaltige Strategien für eine weltweite Energieversorgung verfolgt werden.
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Jetzt schon zu akzeptieren, dass mit den fossilen Brennstoffen das Weltklima derartig verändert wird, dass man zukünftig am Nordpol ganzjährig schwimmen gehen kann ist befremdlich. Und noch befremdlicher ist es dann auch noch den Rest an klimaschädlichen Energieträgern zu Tage zu fördern um dem Klima nachhaltig den Rest zu geben. Eine förderliche Energiepolitik sieht jedenfalls anders aus. Denn vielleicht können wir nach einer Gewinnung von Öl und Gas aus dem Polarmeer irgendwann wieder Juckapalmen am Polarkreis bewundern.
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Film zum Thema
Wie sich der Eispanzer des Nordpols von 1979 bis zum Jahr 2005 verändert hat, kann man sich hier ansehen:
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