Jäger der Kv-Werte
Die sämtliche Wände in dem Großraumbüro sind frei geräumt. Wir sollen die Heizkörper von den Außenwänden abnehmen und im Keller zwischenlagern. Cheffe hatte uns Aufkleber und einen Grundriss des Geschosses mitgegeben um nur ja jeden Heizkörper mit einer Nummer zu versehen und diese Nummer dann im Grundriss einzutragen. Eine Aufgabe für mich als Oberststift (drittes Lehrjahr).
Zusätzlich soll ich vermerken, mit welcher Anzahl an Umdrehungen ich die Rücklaufverschraubungen schließe. Vielleicht, schlage ich vor, sollten wir den Chef auch noch wissen lassen wie viel Gramm Hanf an den Gewinden der Thermostatventile übersteht und in welcher Südabweichung das Entlüftungsventil vom Idealwert abweicht. Plötzlich steht Cheffe aber grinsend hinter mir und nimmt Anlauf zu einem seiner berüchtigten technischen Vorträge. Was mir völlig überflüssig vorkam, erklärt er dann an genau dieser Baustelle und in weniger als vier Minuten.
Andere Leistung - anderer Durchfluss
Die abgenommenen Heizkörper waren seinerzeit bei der Neumontage sämtlich einreguliert worden. Heizkörper mit großer Leistung benötigten einen höheren Massenstrom als kleine Körper. Cheffe will schon wieder ausholen und die alte Heizungsbauerformel zitieren als ich ihn unterbreche:
"Kuhistgleichemmalcmaldeltateta"
und als Formel:
Richtig, bestätigt er. Dies sei zwar eigentlich Kuhpunkt, aber darauf käme es jetzt nicht an. Diese Gesetzmäßigkeit führte also dazu, dass der Durchfluss zu kleinen Heizkörpern gedrosselt, während zu den großen Körpern weit aufgerissene Scheunentore montiert sind. Er holt dann weiter aus und beschreibt noch, dass Heizkörper mit gleicher Leistung durchaus auch unterschiedlich Drosselungen erhalten könnten. Ein Heizkörper, der nahe am Heizraum aufgestellt sei, läge eben auch in der Nähe der Umwälzpumpe. Auf dem kurzen Weg zu einem solchen Heizkörper entsteht natürlich weniger Druckgefälle durch Rohrreibung als bei einem sehr entfernten Typ gleicher Leistung. Der entfernte Heizkörper kriegt also eine geringere Drosselung als der pumpennahe. Jetzt sind wir im Bilde. Der hydraulische Abgleich, ein Steckenpferd des Chefs, hatte ihn wieder inspiriert. Nur was hatte das mit den Rücklaufverschraubungen zu tun?
Der Drehung mit der Drosselung
Cheffe holt zum Finale aus. Die unterschiedlichen Heizkörperleistungen und die verschiedenen Rohrleitungslängen zu eben diesen Heizkörpern hatten seinerzeit unterschiedliches Drosseln der Zu- und Abläufe dieser Heizkörper erfordert. Und diese Tatsache hatte dazu geführt, die Rücklaufverschraubungen unterschiedlich weit zu öffnen. Also, Rücklaufverschraubung komplett schließen - und die Anzahl der Umdrehungen in Richtung Öffnen wurden damals für jeden Heizkörper einzeln vorgegeben. Daraus resultiert ein definierter Druckverlust, wenn man will auch Drosselung, für jede Einstellung. Die Notizen zu den Rücklaufverschraubungen erklärte Cheffe weiter, dienten also zur Ermittlung des seinerzeit eingestellten Kv-Wertes. Jetzt wurde mir Cheffe wieder unheimlich, warum Kv-Wert? Der Kv-Wert beschreibt den Durchfluss eines Ventils unter einem angenommenen Druckverlust von einem bar. Die Hersteller von Rücklaufverschraubungen packen also diese Absperrungen in eine Prüfvorrichtung und ermitteln in Schritten von einer Vierteldrehung in Richtung Öffnen wie sich der Druckverlust verringert und tragen diese Werte in Diagramme ein. Eigentlich hatte ich also Kv-Werte von Ventilen notiert. Jetzt sehe ich meine Aufgabe schon fast wissenschaftlich, fast abenteuerlich. Jäger der (verlorenen) Kv-Werte...
Um noch einen drauf zu setzen erklärt Cheffe, dass die komplett geschlossene Stellung des Ventils immer die Ausgangsbasis ist. Diese Schließposition und die anschließende Öffnung in Viertelschritten seien am besten wiederholbar, während die Position eines ganz geöffneten Ventils schon deutlich größere Abweichungen beim Druckverlust einer Baureihe hervorruft. Die Heizkörper haben wir übrigens später wieder montiert und die Voreinstellungen auf den angeklebten Etiketten abgelesen. Es hat einwandfrei funktioniert. Was für ein Job, was für ein Cheffe...