Wie funktioniert eigentlich die Wanddickenbestimmung von Rohren?
Versuchen Sie sich mal zu erinnern. Wann haben Sie zuletzt eine geplatzte Bockwurst gesehen, die einen Riss quer zur Längsachse aufwies? Wahrscheinlich noch nie und wenn, dann hatte vorher jemand rein geritzt. Eine Bockwurst platzt immer parallel zur Längsachse.
Dieser Umstand war Grund genug, eine wichtige Formel, die auch uns Anlagenmechaniker angeht, als Bockwurst-Formel zu bezeichnen. Eine anderer, auch sehr gebräuchlicher Begriff dafür ist die Kesselformel. Gemeint ist der rechnerische Ansatz, der beschreibt welcher Belastung das Rohrmaterial durch einen im Rohr herrschenden Überdruck ausgesetzt werden kann. Mit diesem Ansatz werden dann nicht etwa philosophische Fragen verknüpft. Vielmehr geht es um handfeste Probleme von Rohrherstellern oder auch Herstellern von zylindrischen Pufferspeichern oder ähnlichen Behältern. Alles, was sich als runder Gegenstand einem Innendruck ausgesetzt sieht, läuft Gefahr bei einem gewissen Druck zu platzen. Und für sämtliche Hersteller gilt es, von diesem Belastungspunkt weit entfernt zu bleiben. Dies kann man natürlich über die Wandstärke des Rohres oder Behälters bewerkstelligen. Aber dicke Wandstärken kosten Material und verteuern ein Produkt. Die zweite Möglichkeit besteht darin, den Werkstoff mit entsprechender Eigenschaft auszuwählen um ein Bersten zu verhindern. Aber auch bei dieser Wahl sind Grenzen gesetzt die sich aus dem Preis, der Handhabbarkeit, Verfügbarkeit oder auch dem Gewicht des gewählten Materials ergeben.
Die Formel
Zuerst soll anhand der Bockwurst-Formel einiges an Zusammenhängen abgeleitet werden. Die Mindestwanddicke eines rotationssymmetrischen Körpers, also eines Rohres, ergibt sich aus
wobei
s = Wanddicke
p = Druck
D = Durchmesser
= zulässige Zugspannung des Werkstoffes (gesprochen Sigma zul)
Für die folgenden Ausführungen wird das Rohr in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt. Die Zusammenhänge lassen sich aber immer auch auf einen Pufferspeicher oder ähnliches übertragen. Man kann, wenn man möchte, auf Anhieb die logischen Zusammenhänge aus der Formel heraus lesen. Die Unterscheidung zwischen Zähler und Nenner lässt nämlich tief blicken. Je größer Druck oder Durchmesser sind, desto größer muss die Wandstärke des Rohres sein. Klar, denn diese Kürzel stehen als Zähler auf dem Bruchstrich (2/1 < 3/1). Wenn aber etwas unter dem Bruchstrich steht, dann verkleinert es das Ergebnis je größer dieser Zahlenwert wird. Klar, je größer der Nenner, je kleiner das Ergebnis (3/4 < 3/2). Je größer also die zulässige Spannung eines Werkstoffes ist, desto kleiner kann die Wandstärke für ein Rohr aus diesem Werkstoff ausfallen. Wenn von Spannung die Rede ist, landet man jedoch nicht, wie man vermuten könnte, bei der Elektrotechnik.
Spannung?
In der Werkstofftechnik spricht man bei einer ziehenden Belastung in einem Werkstoff von einer Zugspannung. Und jeder feste Körper hat eine maximale Zugspannung der er ausgesetzt werden kann ohne zerrissen zu werden.
Der Wert der Zugfestigkeit wird gerne in Newton pro Quadratmillimeter (N/mm²) angegeben. Zehn Newton kann man sich sehr leicht vorstellen als die Gewichtskraft von einem Kilogramm Masse. Hängt diese Masse von einem Kilogramm an einem Faden mit einem Millimeter Querschnittsfläche, und reißt dieser Faden dann so gerade eben nicht, entspricht dies einer Zugfestigkeit von zehn Newton pro Quadratmillimeter (10 N/mm²).
Zugfestigkeit verschiedener Werkstoffe in N/mm²
Edelstahl: 500
Stahl: 350
Grauguß: 250
Kupfer: 200
Aluminium: 100
Polyvinylchlorid (PVC): 50
Polyethylen vernetzt (PEX): 18
Polybutylen (PB): 17
(Die realen Werte aus der Praxis variieren stark in Abhängigkeit von der Zusammensetzung der aufgeführten Werkstoffe. Die abgebildeten Werte sind daher nur zur Verwendung als Rechenbeispiel geeignet).
An einen Edelstahlfaden mit der Querschnittsfläche von 1 mm² könnte also ein Gewicht von 50 kg befestigt werden. An einen Faden mit gleicher Dicke aus Polybutylen hingegen nur ein Gewicht von 1,7 kg Masse.
Spannende Übertragung
An einem Rohr hängen natürlich keine Gewichte, welche die Außenhaut fadenförmig auseinanderziehen. Aber an der uralten Konstruktion eines Weinfasses kann man sehr leicht erahnen, welche Kräfte dort wirksam werden. Es sind Zugkräfte die in Längsrichtung diesen Hohlkörper aufreißen wollen. Und nur die schweren Eisenreifen eines Fasses verhindern das Bersten. Der Druck im Rohr verhält sich genauso. Der Innendruck möchte das zum Kreis geformte Rohrmaterial gewissermaßen wieder platt auswalzen.
Anwendungsbeispiel
Ein Rohrhersteller möchte mit einem geheimnisvollen neuen Rohrwerkstoff den Sanitärmarkt aufrollen. Die Zugfestigkeit des Werkstoffes beträgt 20 N/mm². Es soll zu einem mittleren Durchmesser von 15 mm gefertigt werden. Das Rohr soll in der Erprobung einem Druck von 10 bar standhalten. Welche Wandstärke der Prototyp erhält, kann man dann näherungsweise ausrechnen.
Gegeben:
p = Druck = 10 bar = 1,0 N/mm²
(denn 1 bar = 0,1 N/mm²)
D = 15 mm
= 20 N/mm²
Die Erprobung könnte also erfolgreich mit einer Rohrwandstärke von 0,375 mm erfolgen. Allerdings sind dann noch keine Sicherheiten gegen das Platzen eingeplant. Man würde für den praktischen Einsatz die Wandstärke wahrscheinlich zumindest noch verzweifachen um einen doppelte Sicherheit zu erreichen.
Überprüfung von Rohr
Um die in der Praxis verwendeten Rohre mal zu prüfen, kann die Formel natürlich auch auf gängige Rohre angewandt werden.
Nehmen wir mal ein CU- und ein PEX-Rohr.
Das CU-Rohr in der Dimension 15 x 1 und das PEX-Rohr in 17 x 2,2.
Welchen Drücken halten diese marktüblichen Rohre stand?
Die Umstellung der Sausage-Formel ist einfach:
Die mittleren Durchmesser für das CU-Rohr beträgt 14 mm und für das PEX-Rohr 14,8 mm Eingesetzt ergibt das:
Gegeben für CU-Rohr (für PEX in Klammern):
= 200 N/mm² (18 N/mm²)
s = 1 mm (2,2 mm)
D = 14 mm (14,8 mm)
Der Druck im CU-Rohr könnte also theoretisch auf sagenhafte 285,7 bar ansteigen. Beim PEX wäre bei 53,5 bar Einhalt geboten. Kunststoffrohre werden also von Hause aus schon sehr viel dickwandiger ausgeführt als metallene Rohre. Die Belastbarkeit oder besser die zulässige Zugspannung von heutigen metallenen Rohrwerkstoffen ist deutlich größer.
Praxisbezug
In der Praxis erfordern sämtliche Kunststoffrohre erheblich dickere Wandstärken als die metallene Verwandtschaft. Eine Kompromisslösung stellen Mehrschichtverbundrohre dar. Die Sandwich-Lösung Kunststoff-Metall-Kunststoff schützt einerseits die Metalle vor Korrosion und sichert andererseits die Druckfestigkeit durch den Metallkern. Verblüffend, aber anhand der Bockwurst-Formel belegbar ist der Zusammenhang vom Innendurchmesser und der Belastung. Als letztes Rechenbeispiel sei dieser Zusammenhang anhand des Vergleichs von Stahl-Pufferspeicher und Stahl-Rohr aufgezeigt. Vergleicht man den Druck den ein Stahl-Rohr mit 10 mm Innendurchmesser und eine Pufferspeicher mit 500 mm Innendurchmesser ausgesetzt werden können bei einer identischen Wandstärke von 1 mm, erkennt man die Zusammenhänge der Praxis anhand der berühmten Bockwurst-Formel:
Gegeben für das Rohr (für Puffer in Klammern):
= 350 N/mm²
s = 1 mm
D = 11 mm (501 mm)
Das Stahlrohr könnte einen Druck bis 636 bar vertragen, der Puffer würde, bei gleicher Wandstärke, bereits bei 14 bar schwächeln. Für die Praxis wird die beschriebene Formel zur Bestimmung der Wandstärke noch um Komponenten erweitert. Beispielsweise können Wandstärken-Toleranzen bei der Fertigung von Rohren eine Schwachstelle darstellen. Auch die absehbare Korrosion eines Rohres oder Behälters kann von den Herstellern einkalkuliert werden. Ein pauschaler Zuschlag kann diese Einflüsse entsprechend berücksichtigen. Die am Markt zugelassenen Rohre und Behälter werden daher in der Regel einen bestimmungsgemäßen Einsatz überstehen. Aber schon das Einfrieren kann bockwursttypische Risse hervorrufen. Rechnerisch ist das auf jeden Fall nachvollziehbar.