100 Jahre ungenutzt
Energiepreissteigerung und finanzielle Förderung sowie eine verschärfte Energieeinsparverordnung werden die Wärme aus Abwasser zunehmend attraktiv machen und für eine schnell steigende Anzahl von Projekten sorgen. Mannheim hat mit dem Pumpwerk Ochsenpferch nun sein erstes Referenzobjekt – ein öffentliches Gebäude nach einem vermutlich ab 2019 geltenden Standard.
Die EU-Gebäuderichtlinie von 2010 verpflichtet die Mitgliedsstaaten ab 2021 nur noch Niedrigstenergiegebäude als Neubauten zuzulassen. Als Niedrigstenergiegebäude definiert die EU „ein Gebäude, das eine sehr hohe […] Gesamtenergieeffizienz aufweist. Der fast bei Null liegende oder sehr geringe Energiebedarf sollte zu einem ganz wesentlichen Teil durch Energie aus erneuerbaren Quellen […] gedeckt werden“. Für öffentliche Gebäude soll dies bereits ab 2019 gelten.
Der Kanalanschluss, das letzte große Wärme-Leck in Gebäuden, wird auch durch die bisherige Fassung der Energieeinsparverordnung EnEV 2009 nicht gestopft. Immerhin verschwinden an dieser Stelle ca. 15% der Wärmeenergie eines Hauses älterer Bauart. Bezogen auf zukünftige Niedrigstenergiehäuser sind das vermutlich über 50%.
Schon im Gesetz zur Förderung Erneuerbarer Energien im Wärmebereich (Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz – EEWärmeG) wurde Wärme aus Abwasser als förderwürdig eingestuft, jedoch nicht als erneuerbare Energie, sondern als Abwärme. So auch in dem seit 01.05.2011 geltenden EEWärmeG. Demnach ist die Nutzung von Abwärme eine Ersatzmaßnahme, wenn der Wärmeenergiebedarf zu mindestens 50 % aus Anlagen zur Nutzung von Abwärme gedeckt wird. Dabei muss eine Mindest-Jahresarbeitszahl von 4,0 bei Nutzung der Wärmepumpe nur für Heizung und von 3,8 bei Nutzung für Heizung und Warmwasser erreicht werden.
Schnittstelle Tiefbau/Heizung
Tanja Teichert kümmert sich als junge Ingenieurin um Ochsenpferch, Mannheims ältestes, noch im ursprünglichen Betriebszustand erhaltenes Pumpwerk, Baujahr 1908. Sie hat genau 100 Jahre nach dessen Fertigstellung ihr Studium als Bauingenieurin, Schwerpunkt Wasserbau, mit Diplom abgeschlossen. Ihr Arbeitgeber, die Stadtentwässerung Mannheim – eine bisherige Männerdomäne – gab ihr die Verantwortung für die Umrüstung des Pumpwerks in den Jahren 2010/2011.
Besonders interessant für die Berufsanfängerin ist die Abwärmenutzung, da auch routinierte Kollegen in diesem Spezialgebiet kaum Wissensvorsprung haben. Schließlich ist es das erste derartige Objekt in Mannheim und eines von 40 in Deutschland. In Abstimmung mit den Verantwortlichen hat Tanja Teichert die Wärmeentnahme aus dem städtischen Mischwasserkanal einschließlich Installation der Wärmepumpe zu einem Auftrag zusammengefasst. „Es ist ungewöhnlich, Tiefbau und Heizungstechnik gemeinsam zu vergeben“, so Teichert. „Doch wir wollten keine Schnittstelle dazwischen wegen der Gewährleistung; auch, damit der Anbieter die aus seiner Sicht bestmögliche Kombination realisieren kann“.
Bivalente Wärme
Wozu braucht ein Pumpwerk Wärme? Die Mitarbeiter der Stadtentwässerung halten sich zur Kontrolle und Wartung täglich einige Zeit im Gebäude auf. Dafür muss eine für Arbeitsstätten erforderliche Raumtemperatur vorhanden sein. Die Heizlast des Gebäudes liegt bei 138 kW. Die Heizungstechnik ist bivalent ausgelegt, das heißt, die frühere alte Ölheizung bleibt für Spitzenbedarf noch in Reserve einsatzbereit. Nur die Grundlast wird durch die Kanal-Abwärme gedeckt. So konnten die Wärmeübertrager im Kanal und die Wärmepumpe im Gebäude in einer finanziell interessanten Größenordnung realisiert werden. Die Einsparung ist veranschlagt mit 11.000 € pro Jahr. Das führt zu einer Amortisationszeit von voraussichtlich 7-8 Jahren.
Verwertbare Betriebsergebnisse liegen noch nicht vor. Auf sie wird mit großem Interesse gewartet. Mark Biesalski, Geschäftsführer des Auftragnehmers Uhrig Kanaltechnik, dazu: „Wir haben eine Anlage mit langer Lebensdauer und besonders niedrigen Betriebskosten konzipiert.“ Die Voraussetzungen waren gut. Im Abwasserkanal DN 2200 konnten die Wärmeübertrager-Elemente bequem nachträglich eingebaut und zu einer 15 m langen Strecke zusammengesetzt werden. Die Entzugsleistung beträgt 110 kW bei der hier vorhandenen Wassertemperatur von 14-17°C und einem Trockenwetterabfluss von 400 l/s. Ein geschlossener Leitungskreis aus PE-Rohren verbindet die Wärmeübertrager mit der Wärmepumpe im Gebäude. Die Eintrittstemperatur des Transportmediums Wasser am Thermliner-System im Kanal wurde hier mit 5 °C ermittelt, die Austrittstemperatur mit 9 °C.
Bezahlbare Wartung
Fouling, das Entstehen von Ablagerung und Biofilm als Sielhaut auf den vom Abwasser überströmten Wärmeübertragern, kann durch die unerwünscht dämmende Wirkung bis zu 40% des Wärmeertrags kosten. Beim Pumpwerk Ochsenpferch hat der Auftragnehmer Uhrig Kanaltechnik diese Wirkung bei der Bemessung der Anlagengröße berücksichtigt. Das heißt, die zu erwartende Verschmutzung der nachträglich auf der Kanalsohle eingesetzten Edelstahlelemente wurde durch Überdimensionierung kompensiert, so dass keine Wartung für Reinigung nötig ist.
Funktionsweise
Die auf der Kanalsohle befestigten Wärmeübertrager sind durch einen geschlossenen Leitungskreis mit der Wärmepumpe im Gebäude verbunden. Ab DN 400 lässt sich das hier verwendete System Thermliner „Form A“ einbauen. Ideal ist eine Abwassertemperatur von mehr als 10°C. So werden dem Abwasser ca. 2 bis 4 Grad Temperatur entzogen. Hier verdichtet eine Wärmepumpe Fabrikat Ochsner (Heizleistung 110,70 kW, Jahreswärmeerzeugung 158,1 MWh/a) die Abwasserwärme anschließend auf die für die Heizung erforderliche Temperatur von 50°C. Die Temperaturdifferenz von 3-4 Kelvin im Betrieb ergibt bei diesem Projekt einen COP-Wert von 3,8 und - bezogen auf das Heizsystem mit 2 x 1.000 l Pufferspeicher - eine Jahresarbeitszahl (JAZ) von 4,6. Unter Berücksichtigung der Vollkosten einschließlich Strom für die Wärmepumpe ist das deutlich preisgünstiger als die bisherige Heizung mit ihrem Ölbedarf von mehreren tausend Litern pro Jahr.
Da das Pumpwerk unter Denkmalschutz steht, durften keine die Bausubstanz verändernden Maßnahmen wie Wärmeschutz durchgeführt werden. In Verbindung damit war die Ölheizung aus dem Jahr 1998 nicht gerade klimaschonend. Das jetzt verwirklichte Prinzip „Energie aus Abwasser“ ist Stand der Technik.
Klimaschutz und Wertschöpfung in der Region
Abwasser ist eine ganzjährig zuverlässige, lokal vorhandene Energiequelle mit einem konstanten Temperaturniveau bei 12-20°C. Abwasserkanäle, als emissionsarme Energiequellen bislang weitgehend ungenutzt, bergen tatsächlich ein ständig an zahlreichen Standorten verfügbares Potenzial. Entsprechende Rahmenbedingungen vorausgesetzt, sind Anlagen zur Abwasserwärmenutzung im Vergleich zu fossilen Heizanlagen schon heute betriebswirtschaftlich wettbewerbsfähig. Bei richtiger Planung und Ausführung entstehen weder für das Entwässerungssystem noch für die Abwasserreinigung Nachteile.
Politiker des Bundes und der Länder betonen zurzeit den volkswirtschaftlichen Vorteil der regenerativen Energie. Für die Wärme aus Abwasser gilt sinngemäß dasselbe: Weniger Kapital fließt für Energieimporte aus der Region ab, sichere neue Arbeitsplätze entstehen und zusätzliche Steuereinnahmen stärken die Kommunen. Auch die Sicherheit der heimischen Industrie wird verbessert, denn die deutsche Wirtschaft ist in ihrer Produktion im internationalen Vergleich bisher überdurchschnittlich abhängig von Energieimporten.
Umweltgedanke
Nicht vergessen werden soll der Beitrag der Abwärmenutzung zum Klimaschutz. Das Pumpwerk Ochsenpferch mit seinen kalkulierten 30,4 Tonnen CO2-Einsparung pro Jahr war bereits im Projekt-Stadium Teil der Mannheimer Aktion „Klimaschutzkalender“, bei der monatlich ein Vorhaben der Stadt der Öffentlichkeit präsentiert wird.
Der Autor
Dipl.-Ing. Klaus W. König, Überlingen am Bodensee, ist selbstständig tätig und hält Vorträge zu ökologischer Haustechnik. Er ist Mitglied der Architektenkammer Baden-Württemberg. Als freier Fachjournalist und Buchautor veröffentlicht er regelmäßig Artikel in Umwelt-, Architektur-, Heizungs- und Sanitärzeitschriften.
Internet: www.klauswkoenig.com