Wir werden in diesem Bericht die Gradtagszahl auseinandernehmen und anhand von Beispielen in ihrer Bedeutung erklären. Gradtagszahlen dienen beispielsweise zur Überprüfung von Heizkostenabrechnungen. Oder sie zeigen auf, ob eine energetische Sanierungsmaßnahme tatsächlich den gewünschten Erfolg erzielen konnte. Denn es könnte ja sein, dass ein neuer, hocheffizienter Heizkessel montiert wurde und der Verbrauch im Folgejahr sich trotzdem erhöht. Oder es wurde in ein Smarthome investiert und sämtliche Thermostatventile gegen elektronische mit WLAN-Verbindung eingetauscht und der Gasverbrauch hat sich nach einer Heizperiode trotzdem nicht entsprechend verringert. Dann gerät man als SHK-Handwerker leicht in Erklärungsnot. Wie soll man das erklären? Die Wahrnehmung „Das war aber auch ein kalter Winter“ hilft wenig, weil es sich um eine rein subjektive Empfindung handeln kann.
Grundlage zur Heizlast
Zuerst einmal sollte der Zusammenhang zwischen dem Verhältnis von Außen- und Innentemperatur und der daraus resultierenden Heizlast nochmals erkannt werden. Dabei soll folgendes Gebäude als Modell dienen:
Die Normaußentemperatur für den Ort liegt bei –10 °C. Sämtliche Räume des Hauses werden auf 20 °C ausgelegt. Die Heizlast betrage dann genau 7500 Watt.
Im Gedankenmodell kann man davon ausgehen, dass bei wärmeren Außentemperaturen als –10 °C das Gebäude eine geringere Heizlast aufweisen wird als 7500 Watt. Rein rechnerisch beträgt die Heizlast nur bei 30 Kelvin Temperaturdifferenz, also der Raumtemperatur von 20 °C minus der Außentemperatur von –10 °C, genau 7500 Watt. Beispielsweise beträgt bei 0 °C Außentemperatur die Differenz zwischen drinnen und draußen nur noch 20 Kelvin. Rechnet man dann kurz die Verhältnisse aus, dann ergibt sich 20/30 multipliziert mit 7500 Watt gleich 5000 Watt Heizlast. Und bei 10 °C Außentemperatur ergibt sich nur noch eine Heizlast von 10/30 multipliziert mit 7500 Watt gleich 2500 Watt. Ohne Temperaturdifferenz, also bei einer Außentemperatur von 20 °C, beträgt die Heizlast gleich null Watt. Die aktuelle Heizlast hängt also wesentlich davon ab, wie groß die Temperaturdifferenz zwischen drinnen und draußen ist. Und Zeiträume mit sehr tiefen Außentemperaturen schlagen beim Jahresenergieverbrauch stärker zu Buche als warme Tage. Soweit klar.
Ansatz der GTZ
Um die GTZ zu ermitteln, ging man noch einen Schritt weiter. Man unterstellte einfach, dass die Beheizung eines Gebäudes erst ab einer Heizgrenztemperatur erfolgen wird. Diese wurde mit 15 °C angenommen. Man geht also davon aus, dass sich ab Außentemperaturen von 15 °C der Heizkessel nicht mehr zur Beheizung einschaltet. Im eben genannten Beispiel wäre die Heizlast auf 1250 Watt geschrumpft, für das ganze Wohnhaus wohlgemerkt. Da kann es schon ausreichen, wenn die Sonne ins Haus strahlt und auf diese Weise einen Raum erwärmt. Mit diesem Ansatz erstellt man dann einen Kalender mit zugeordneten Differenztemperaturen als Mittelwert. Der deutsche Wetterdienst hat das für sehr viele Orte in Deutschland gesammelt und stellt die Werte gegen eine geringe Gebühr zur Verfügung.
Beispiel für den Monat April:
Die GTZ beträgt für diesen Monat also 237,0. Und obwohl beispielsweise am 24.4. eine Differenztemperatur von 3,5 (20 minus 16,5) rein rechnerisch nachzuweisen ist, wird diese nicht mit aufgenommen, da ja die Heizgrenztemperatur von 15 °C an diesem Tage im Durchschnitt überschritten wurde.
Winzige, logische Formel
Um den Heizenergieverbrauch abzuschätzen, werden die Gradtagszahlen der jeweiligen Jahre ins Verhältnis gesetzt und mit dem bereits bekannten Wert für ein Jahr multipliziert.

HEVprog = der Heizenergieverbrauch innerhalb des Zeitraums, für den die Prognose erstellt werden soll
HEVbek = der Heizenergieverbrauch zu dem bereits ein Ergebnis vorliegt
GTZprog = Gradtagszahl innerhalb des Zeitraums, für den die Prognose erstellt werden soll
GTZbek = Gradtagszahl innerhalb des Zeitraums mit bereits bekanntem Energieverbrauch
Doktor will sparen
Ein niedergelassener Arzt aus Bremen hatte akribisch den Erdgasverbrauch seiner Praxis über die Jahre notiert. Die Thermostatventilköpfe in den Praxisräumen hatten es hinter sich und standen daher zum Tausch an. Die neuen Thermostatköpfe sollten sich per App programmieren und ansteuern lassen. Auf seinen Komfort wollte der Doktor nicht verzichten. Es war also dringend notwendig, dass die Behandlungsräume zum Dienstbeginn entsprechend aufgewärmt sein mussten. Aber am Heizverhalten innerhalb der Praxis sollte sich etwas ändern. Durch kluge Programmierungen sollte in Abwesenheit eine Absenkung der Raumtemperaturen erfolgen. An jedem Abend und auch an Wochenenden sollte insgesamt abgesenkt werden, aber an jedem Morgen und nach jedem Wochenende sollte die Praxis angenehm temperiert sein. Im Jahr 2014, vor der Neuinstallation der Köpfe, verbrannte er 2500 Kubikmeter Gas. Am Ende des Jahres 2015 hatte er gerade mal 20 m³ weniger, also 2480 Kubikmeter, verbraucht. Er wandte sich erbost an seinen Handwerker. Der hatte ihm die neuen Köpfe verkauft und Einsparungen vorausgesagt. Hat Dottore nicht recht mit seinem Zorn?
Auswertung des Sparkurses
In absoluten Zahlen ist der Verbrauch ja tatsächlich nur um läppische 0,8 % gesunken:
100 % – ((2480/2500) x 100 %) = 0,8 %
Überprüft man die Daten aber temperaturbereinigt und mittels GTZ, ändert sich das Bild objektiv.
Die Abschätzung mittels GTZ klärt, wie der Verbrauch angestiegen wäre, hätte er nicht auf die neuen Thermostatköpfe gesetzt. Für das Jahr 2014 konnte für Bremen eine Gradtagszahl von 3098 Kd ermittelt werden und für das Jahr 2015 eine Gradtagszahl von 3390 Kd. Damit steht schon mal fest, dass das Jahr 2015 insgesamt kühler war als 2014.
Gegeben:
HEVbek = 2500 m³
GTZprog = 3390 Kd
GTZbek = 3098 Kd
und eingesetzt:

Mit der Altanlage hätte er voraussichtlich 2735 Kubikmeter Gas verbraucht. Setzt man nun den tatsächlichen Verbrauch (2480 m³) zum theoretischen Verbrauch (2735 m³) ins Verhältnis, so ergibt sich eine Einsparung trotz der absolut nur sehr kärglichen Verringerung des Gasverbrauchs von 20 m³, also 0,8 Prozent.

Die Einsparung betrug also effektiv 9 Prozent und ist damit als Erfolg verbuchbar. Und da die Zahlen neutral ermittelt werden, glaubt Dottore dies auch und kann seither wieder ruhig schlafen. Der bloße Hinweis des Heizungsbauers auf ein kaltes Jahr 2015 hätte sicherlich nicht diesen gewünschten Eindruck hinterlassen.
Weitere schlaue Schlüsse
Da die GTZ monatlich zusammengefasst und aufgestellt werden, kann anhand der Daten auch der wahrscheinliche Verbrauch des jeweiligen Monats ermittelt werden.
Wenn also die Heizkosten eines Wohnhauses bei 1000 Euro pro Jahr liegen, so kann man anhand der Monatsdaten zur Gradtagszahl die jeweiligen Anteile errechnen. Hierzu wendet man einfach den berühmten Dreisatz an.
Beispiel:
Welcher Anteil der Heizkosten fällt auf den Monat Dezember, wenn die Jahresrechnung 1000 Euro beträgt?
GTZ für das gesamte Jahr = 3162 Kd
GTZ für Dezember =446 Kd
Dreisatz:

Man kann die Gradtagszahl sicherlich noch für viele Bereiche heranziehen, in denen Energieverbräuche ins Verhältnis zu den jeweiligen Wetterdaten gesetzt werden. Das ist nicht nur aufschlussreich, sondern kann handfeste Streitereien verhindern. Man sollte aber auch bedenken, dass die GTZ nur die Temperaturverhältnisse berücksichtigt. Sturmesbrausen, als weiterer möglicher Faktor beim Heizenergieverbrauch, fließt in die Betrachtung beispielsweise nicht mit ein. Und das Heizverhalten der Bewohner kann sich natürlich auch verändern. Ein aussagefähiger Trend kann mittels GTZ aber auf jeden Fall aufgezeigt werden.