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Beschattung und Kühlung

Naturnahe Prozesse nutzen

Inhalt

Die Niedrigstenergiehäuser der Zukunft werden im Sommer außen grün und innen kühl sein. Gebäudebegrünung bietet Beschattung und Verdunstungskälte. Wird die Begrünung durch gesammelte Niederschläge bewässert, ergeben sich Einsparungen an Betriebskosten für Wasser und Energie. Im städtischen Umfeld verbessern sich dadurch zugleich das Mikroklima und der natürliche Wasserkreislauf. Fachplaner ergänzen künftig diesen nachhaltigen und Kosten sparenden Ansatz bei öffentlichen und halböffentlichen Gebäuden durch die adiabate Abluftkühlung mit dem gespeicherten Regenwasser.

Kurzer Ausflug in Physik und Wetterkunde

Verdunstet 1 m³ Wasser bei 45 °C, wird allein durch Änderung des Aggregatzustandes (von flüssig zu gasförmig) eine Energiemenge von etwa 700 kWh gebunden. Bei 100 °C sind es noch 630 kWh. Das heißt, mit dem gasförmig gewordenen Wasser wird die Wärme gewissermaßen von den Oberflächen abtransportiert. In Stadtzentren würde dieser physikalische Effekt als natürliche Kühlung gut funktionieren, wenn genügend wasserhaltige Flächen vorhanden wären. Weil Städte aber ziemlich zubetoniert und zuasphaltiert sind und das dafür nötige Wasser in die Kanalisation abfließt, anstatt in Pflanzen gespeichert zu werden, wird die Solarstrahlung meistens in fühlbare Wärme und langwellige Strahlung umgesetzt. Außerdem wird die Hitze gerade in Sommermonaten nicht ausreichend durch Wind abgeführt, weil der dann leider seltener weht. Deshalb bilden Städte Hitzeinseln, wo es immer ein paar Grad wärmer ist als im Umland. Abhilfe schafft die Gebäudebegrünung, bewässert durch gesammeltes Regenwasser.

Berliner Modellvorhaben

Extensiv begrünte Dächer wandeln in den Sommermonaten 58 % der Wärmestrahlung in die Verdunstung von Wasser um. Im Gegensatz dazu liegen Bitumendächer bei 6 %, wie Messungen an zwei benachbarten Dächern der UFA Fabrik in Berlin bestätigen. Auch Fassadenbegrünungen haben im Vergleich zum konventionellen Sonnenschutz (Jalousien, Rollläden, Markisen ...) ein großes Energieeinsparpotenzial. Dies zeigt ein Monitoring am Neubau des Institutes für Physik der Humboldt-Universität auf dem Campusgelände Adlershof in Berlin. Hier wird Regenwasser sowohl zur Bewässerung der Fassadenbepflanzung als auch zur Verdunstungskühlung im Wärmeübertrager der Zu- und Abluft eingesetzt. Dass dabei bis zu einer Außentemperatur von 30 °C auf Kühlung mit Kompressionskälteanlagen verzichtet werden kann, ist ein wertvoller Beitrag zum Klimaschutz, der sich prinzipiell bei allen Neubauten anwenden lässt. Da die Gebäudebegrünung durch Beschattung die südlichen Fassaden vor hohen Temperaturen schützt, muss weniger gekühlt werden. Wissenschaftliche Untersuchungen der Hochschule Neubrandenburg und der TU Berlin zu diesem stadtökologischen Modellvorhaben haben ergeben: Naturnahe Prozesse können nahezu 90 % an Betriebskosten für die Gebäudekühlung sparen im Vergleich zu konventionellen Systemen [3] [6].

Messstation zur wissenschaftlichen Begleitforschung der passiven ­Gebäudekühlung durch Begrünung

Foto: König

Messstation zur wissenschaftlichen Begleitforschung der passiven ­Gebäudekühlung durch Begrünung
Innenhof am Standort Adlershof mit unterirdischer Regenzisterne und Verdunstungsteich

Foto: König

Innenhof am Standort Adlershof mit unterirdischer Regenzisterne und Verdunstungsteich

Fassadenbegrünung zur Beschattung

Neun Fassaden des Institutes für Physik sind begrünt. Das Regenwasser von 4700 m² Dachfläche wird in unterirdischen Betonzisternen gesammelt und zum Teil für die Fassadenbegrünung genutzt. Dazu versorgt eine automatische Tropfbewässerung Kübelpflanzen in 29 Abschnitten. Die Anstaupegel in den Kübelwannen werden durch eine elektronische SPS-Steuerung kontrolliert. Der Bedarf zur Bewässerung der Fassadenpflanzen beträgt nach Auswertung der bisher gewonnenen Daten 250 m³ pro Jahr.
Die verschattende Wirkung der Fassadenbegrünung im Vergleich zum konventionellen Sonnenschutz kontrollieren jeweils sieben Strahlungssensoren. Damit die Ergebnisse auf andere Standorte übertragen werden können (wo vielleicht ganz andere Rahmenbedingungen herrschen), werden zudem umfangreiche mikroklimatische Messungen durchgeführt.
Um den funktionsfähigen Zustand der Fassadenbegrünung langfristig zu erhalten, müssen selbstredend geeignete Pflanzen ausgewählt werden und diese vor schädlichen Einflüssen, z. B. vor Giftstoffen aus der Dachabdichtung, geschützt sein. Außerdem ist es notwendig, die technischen Komponenten regelmäßig zu überprüfen. Dazu gehören die Befestigungsteile der Pflanzkübel, die Kletterhilfen sowie die Einrichtungen der Bewässerung und Düngung. Es hat sich gezeigt, dass etwa drei bis vier Pflegedurchgänge in der Vegetationsperiode erforderlich, aber auch ausreichend sind [3]. Je nach Belaubungsdichte von Kletterpflanzen gelangen nur noch 20 % der einfallenden Strahlung auf die Wandoberfläche. Messungen haben ergeben, dass sich die Oberflächentemperaturen im Vergleich zu einer unbegrünten Wand um 15 K verringern. Den größten Anteil an diesem Effekt hat die Beschattung durch die Blätter der Pflanzen, während der geringere Teil auf die Transpiration zurückzuführen ist [1].
„Stadtbäume, Fassaden- und Dachbegrünungen tragen durch Verschattung, Dämmung und Verdunstungseffekt zur Abkühlung bei. Urbanes Grün macht unsere Städte widerstandsfähiger gegen den Klimawandel und gleichzeitig attraktiv und lebenswert. Stadtnatur muss daher als grüne Infrastruktur verstärkt gefördert und ausgebaut werden“, so Prof. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz (BfN). Dass das Grün in der Stadt tatsächlich erheblich zur Energieeinsparung – und somit zum Klimaschutz – beiträgt, konnte beispielsweise an einer Grünfassade in Wien nachgewiesen werden: Die sommerliche Verdunstung der Pflanzen an der 850 m² großen Fassade entspricht einer Kühlleistung von etwa 45 Klimaanlagen mit jeweils 3000 W und acht Stunden Betriebsdauer! Und auch im Winter hat die Begrünung einen Dämmeffekt: Laut Jessel verringerte sich der winterliche Wärmeverlust des Gebäudes um bis zu 50 %. [5].

Das Prinzip der adiabaten Abluftkühlung in Klimatisierungsanlagen: Das von den Dächern gesammelte Regenwasser wird innerhalb des Wärmeübertragers in die Abluft gesprüht und kühlt diese ab. Der Effekt überträgt sich auf die Zuluft

Foto: Mall

Das Prinzip der adiabaten Abluftkühlung in Klimatisierungsanlagen: Das von den Dächern gesammelte Regenwasser wird innerhalb des Wärmeübertragers in die Abluft gesprüht und kühlt diese ab. Der Effekt überträgt sich auf die Zuluft

Adiabate Abluftkühlung mit Regenwasser

„Adiabat“ klingt nach Science Fiction, ist aber kein Hexenwerk, sondern beschreibt laut Wikipedia einen thermodynamischen Vorgang, „bei dem ein System von einem Zustand in einen anderen überführt wird, ohne Wärme mit seiner Umgebung auszutauschen. Adiabat wird synonym zu wärmedicht verwendet.“ Auf www.baunetzwissen.de wird adiabate Kühlung so definiert: „Die adiabate Kühlung ist ein Verfahren, um mit Verdunstungskälte Räume zu klimatisieren. Zur Kälteerzeugung wird nur die Verdunstungskälte von Luft und Wasser als unerschöpfliche, natürliche Quelle genutzt.“
In der Praxis funktioniert das dann so: Das Regenwasser wird in den Abluftstrom gesprüht und kühlt die Abluft im Wärmeübertrager deutlich ab. Von Luft zu Luft, meist im Platten­wärmeübertrager, wird die Zuluft mit der Abluft vorgekühlt, ohne dass die sich begegnenden Luftströme direkt miteinander in Kontakt treten. Man spricht hier von „adiabater Abluftkühlung“. Der Wärmeübertrager ist in der Regel derselbe, der im Winter für die Wärmerückgewinnung genutzt wird. Im Idealfall hat die Abluft, die den Wärmeübertrager verlässt, die gleiche Temperatur wie die Außenluft bei einer Luftfeuchte von 100 %. Diese Art der Gebäudeklimatisierung mit Regenwasser hat mehrere Vorteile: Zum einen verbessert sie das Mikroklima im Gebäudeumfeld. Zum anderen hat Regenwasser einen geringeren Salzgehalt als Trinkwasser. In den Leitungen kann sich also kaum Salz ablagern und man braucht folglich kein zusätzliches Wasser zum Spülen der Leitungen, um solche Ablagerungen zu entfernen. Deshalb wird nur halb so viel Wasser benötigt und kein Abwasser erzeugt [6].

Lexikon

Monitoring = systematische Erfassung
Biodiversität = biologische Vielfalt
Synergie = gemeinsamer Nutzen

Beispiele für Realisierte Projekte

Schule in Mössingen:

Ein Schwerpunkt in der Haustechnik dieses 2014 neu erstellten Schulgebäudes ist die Regenwassernutzung, die sowohl den Sanitärbereich als auch die adiabate Kühlung mit Betriebswasser versorgt. Das Niederschlagswasser wird vom 1800 m² großen Gründach gesammelt. Der Regenwasserspeicher mit 48 m³ Fassungsvermögen, die Druckerhöhungsanlage und das separate Leitungsnetz zu den Verbrauchern ergänzen das System. Der Überlauf des Speichers versickert auf dem Schulgelände. Die beiden Klimaanlagen sind mit einem Nennluftvolumenstrom von 15 660 m³/h für die Klassenräume und 9000 m³/h für die Mensa ausgelegt. Die adiabate Abluftkühlung erzeugt darin bei maximalem Volumenstrom eine Leistung von 156 kW bzw. 90 kW. Hier wurde bewusst auf eine zusätzliche Ausweichmöglichkeit durch eine konventionelle Kompressionskältemaschine verzichtet. Dadurch sinken sowohl die Investitionskosten als auch die Betriebskosten [4]. Gegenüber der Lösung mit Kompressionskältemaschine werden pro Tag bei acht Stunden Volllastbetrieb 178 Euro Stromkosten eingespart, ermittelte Marco Schmidt von der TU Berlin. Im Vergleich zu einer Absorptionskälteanlage seien es sogar 369 Euro pro Tag für Wärme, Strom, Wasser und Abwasser. Die Stromkosten für den Pumpenbetrieb der Regenwassernutzungsanlage und der adiabaten Abluftkühlung fallen mit etwa 4 Euro pro Tag dagegen verschwindend gering aus. Den Betriebskostenvergleich hat Schmidt aus einem Forschungsprojekt des Bundeswirtschaftsministeriums im Programm www.eneff-stadt.info [6] abgeleitet.

Gymnasium Riedberg in Frankfurt:

Der Neubau für 1350 Schüler ist seit 2013 in Betrieb. Das Regenwasser von insgesamt 2500 m² Dachfläche wird in einem 36 m³ fassenden Regenspeicher gesammelt und zur adiabaten Abluftkühlung verwendet. Die Betriebskosteneinsparung im Vergleich zu einer herkömmlichen Kompressionskältemaschine liegt nach Angabe der Planer bei ca. 1000 Euro pro Jahr. Außerdem entfallen Gebühren für die Niederschlagsableitung [2]. Ein weiteres Beispiel bietet die Hochschule Pforzheim: Hier wurde der Neubau bzw. die Erweiterung der Fakultät für Technik mit adiabater Abluftkühlung umgesetzt und 2015 fertiggestellt [7].

Versetzen der Regenspeicher als Mehrbehälteranlage mit einem Filterschacht und vier Betonzisternen, zusammen 36 m³ Fassungsvermögen

Foto: Mall

Versetzen der Regenspeicher als Mehrbehälteranlage mit einem Filterschacht und vier Betonzisternen, zusammen 36 m³ Fassungsvermögen

Planung, Bau, Betrieb und Wartung

Hinweise zu Planung, Bau, Betrieb und Wartung von raumlufttechnischen Anlagen sowie hygienischen Anforderungen an die Anlagen sind den VDI-Richtlinien 3803 und 6022 zu entnehmen. Durch eine neue Verordnung will das Bundesumweltministerium einen hygienisch einwandfreien Betrieb mit Verdunstungskühlung sicherstellen. Diese Verordnung soll noch im Jahr 2016 erscheinen.

Fazit

Die Kombination von Fassadenbegrünung und adiabater Abluftkühlung mit Regenwasser schlägt mehrere Fliegen mit einer Klappe: Wir sparen Energie für Klimatisierung und auch Wasseraufbereitung, da Regenwasser nicht entsalzt werden muss. Zugleich wird bei der Verwendung von Regenwasser anstelle von Trinkwasser Wasser und Abwasser gespart. Weiterer Synergieeffekt: Regenwasser kehrt an Ort und Stelle in den natürlichen Wasserkreislauf von Niederschlag und Verdunstung zurück (und nicht irgendwo anders). Dies hat positive Auswirkungen auf den natürlichen lokalen Wasserhaushalt, das lokale Mikroklima und das globale Klima [8].

Klimaanlage im Untergeschoss des Gymnasiums Riedberg, inkl. adiabater Abluftkühlung mit Verdunstung des Regenwassers aus dem unterirdischen Speicher

Foto: König

Klimaanlage im Untergeschoss des Gymnasiums Riedberg, inkl. adiabater Abluftkühlung mit Verdunstung des Regenwassers aus dem unterirdischen Speicher

Literatur
[1] Günther, H.: Vertikalbegrünungen als Element grüner Infrastrukturen in Städten. In: fbr-wasserspiegel 1/16, Seite 18. (Hrsg.:) Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung e. V., Darmstadt, 2016.
[2] Kaiser, M.: Einsatz von Regenwasser zur Kühlung von Gebäuden und Prozessen, in: Ratgeber Regenwasser. Für Kommunen und Planungsbüros. Rückhalten, Nutzen und Versickern von Regenwasser im Siedlungsgebiet. 6. Auflage. (Hrsg.:) Mall GmbH, Donaueschingen, 2016.
[3] Konzepte der Regenwasserbewirtschaftung. Gebäudebegrünung, Gebäudekühlung. Leitfaden für Planung, Bau, Betrieb und Wartung. (Hrsg.:) Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin, Broschüre, 1. Auflage, Berlin, 2010.
[4] Schmidt, M., Sperfeld, D.: Adiabate Kühlung mit Regenwasser. In: fbr-wasserspiegel 4/14, S. 14. (Hrsg.:) Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung e. V., Darmstadt, 2014.
[5] Auszug aus „Sima: Fassadenbegrünungen schaffen neue Grünflächen in Wien und wirken kühlend“. Quellen: www.wien.gv.at/rk/Presse. Aufgerufen am 19.07.2016.
[6] TU Berlin: Abschlussbericht „HighTech-LowEx: Energieeffizienz Berlin Adlershof 2020“ Teil 8 Energieeffiziente Gebäude, BMWi Förderkennzeichen 03ET1038A und 03ET1038B, 144 S. Berlin, 2014.
[7] Neubau bzw. Erweiterung der Fakultät für Technik, Hochschule Pforzheim: Service/Projektarchiv unter http://www.vermoegenundbau-bw.de. Aufgerufen am 19.07.2016.
[8] Schmidt, M.: Regenwassernutzung zur energieeffizienten Gebäudekühlung, in: Ratgeber Regenwasser. Für Kommunen und Planungsbüros. Rückhalten, Nutzen und Versickern von Regenwasser im Siedlungsgebiet. 6. Auflage. (Hrsg.:) Mall GmbH, Donaueschingen, 2016.
[9] Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin: Handlungsempfehlungen zur Vermeidung der Umweltbelastung durch die Freisetzung des Herbizids Mecoprop aus wurzelfesten Bitumenbahnen. Stand 01.10.2013.

Klaus W. König
Dipl.-Ing. Klaus W. König ist öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger sowie Fachjournalist für ökologische Haustechnik, 88662 Überlingen,
Tel. (0 75 51) 6 13 05

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