Es gibt doch nichts ‚Schöneres’ im Leben eines Anlagenmechanikers als Kunden, die mit dem Thermometer in der Hand behaupten, ihre neuen Thermostatventile würden nicht richtig funktionieren.
Geselle Volker und Azubi Manfred wurden zu Herrn Celsius, einem langjährigen, aber auch kritischen Kunden geschickt. In seinem Haus wurden im letzten Sommer die 25 Jahre alten Heizkörper-Thermostatköpfe gegen schicke neue Modelle ausgetauscht. Der Kunde hatte sich von Argumenten des Chefs überzeugen lassen. Grund für ihn war, nach dieser Überzeugungsarbeit, die genauere Raumtemperaturregelung und der damit verbundene Komfortgewinn, sowie natürlich auch die Energieeinsparung.
Aufklärungsdefizite
Wie das Leben nun einmal so spielt, hat Herr Celsius eine kleine digitale Wetterstation geschenkt bekommen. Diese gibt ihm nun immer Auskunft über die aktuelle Raumtemperatur, digitalgenau und daher auch auf zwei Stellen hinterm Komma. Doch leider wird die Freude getrübt. Das Präzisionsmessinstrument zeigt ihm anstelle der am Heizkörperthermostat eingestellten 20 °C bei Sonnenschein sogar 21 °C an - und das bei immer noch heißem Heizkörper. Seiner Logik folgend hätte der Heizkörper bereits Sekunden nach der Temperaturerhöhung im Raum abschalten und damit sparen müssen. Herr Celsius fühlt sich von dem Installateur seines Vertrauens übers Ohr gehauen. Hatte dieser dem alten Mann tatsächlich aus reiner Profitgier die angeblichen Wunderdinger an die Heizkörper geschwatzt? Das Monteurteam überprüft zuerst den korrekten Sitz der Thermostatköpfe. Schließlich kann es ja ein kleiner Montagefehler mit der berühmten großen Wirkung sein. Nachdem man dort aber alles für gut befunden hat und sicherheitshalber einen neuen Thermostatkopf montiert, kommt die Stunde der Wahrheit. Man muss Herrn Celsius die vermeintlich unkorrekte Arbeit des Thermostatkopfes erklären. Es wird daher an ihn herangetragen, dass es sich wohl um die Proportionalabweichung handelt. Nicht nur der Kunde, sondern auch Manfred guckt wie Auto, weil sie nix verstanden haben. Warum weichen die Proportionen ab? Das Thermostat sieht doch aus wie jedes andere. Es wird also höchste Zeit ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.
Funktionsbeschreibung
Ein Thermostatventil besteht in der Regel aus dem Ventilunterteil und dem Thermostatkopf. Das Unterteil ist ähnlich aufgebaut wie ein Geradsitzventil, mit dem Unterschied, das die Ventilstellung nicht mit einer Drehbewegung der Spindel erreicht, sondern zum Schließen des Ventils die Spindel einfach niedergedrückt wird. Der Thermostatkopf wird mittels Überwurfmutter oder Spannring an dem Ventilunterteil befestigt und kann zu Wartungszwecken ohne Wasseraustritt demontiert werden. In dem Thermostatkopf befindet sich ein kleiner, mit Flüssigkeit gefüllter Behälter. Und bekanntlich dehnen Flüssigkeiten sich bei Erwärmung aus. Sie ziehen sich aber auch umgekehrt beim Abkühlen wieder zusammen. Diese Eigenschaften werden genutzt, indem bei Erwärmung die Kraft der sich ausdehnenden Flüssigkeit über einen kleinen „Stößel“ auf die Spindel am Ventilunterteil übertragen und so das Ventil geschlossen wird. Entsprechend reagiert der Kopf dieses Ensembles mit Ventilöffnung bei Abkühlung.
Zurück zum Kunden
Im Wohnzimmer von Herrn Celsius bedeutet dementsprechend eine Änderung der Raumtemperatur ein Ausdehnen oder entsprechend Zusammenziehen der Flüssigkeit im Thermostatkopf. Dies ruft jeweils auch eine Änderung der Ventilstellung hervor. So beträgt die Hubänderung zum Beispiel 0,22 mm/K. Das bedeutet, dass die Ventilspindel bei einem Grad Temperaturanstieg um 0,22 mm in Richtung „zu“ bewegt wird. Anders als bei einem Raumthermostat mit reiner an/aus Funktion ändert sich der Ventilhub im Verhältnis zur erfassten Raumlufttemperatur. Diese Abhängigkeit ist immer Verhältnisgleich oder anders ausgedrückt: proportional. Deswegen wird ein solcher Regler auch als Proportionalregler (P-Regler) bezeichnet und eine Regelabweichung wird dementsprechend Proportionalabweichung genannt. Manfreds Geselle hat dem Kunden nach Einbau dieser „Wunderventile“ schon oft erklärt, dass man den Thermostatkopf nur auf Stellung 3 belassen müsse, um es immer angenehme 20 Grad warm zu haben. Manfred weiß aber auch, dass um den Raum warm zu halten, ständig Wärmeenergie durch das Ventil nachgeliefert werden muss.
Nicht ohne Abweichungen
Ein Bimetallschalter würde bei Erreichen der 20 Grad Raumtemperatur einfach den Heizkörper abschalten. Dies hätte aber leider auch ein Abkühlen des Raumes bis zum Wiedereinschaltpunkt (z.B. 19 °C) zur Folge. Es wurde ja bei der Planung der Heizungsanlage ausgerechnet, dass - um eine festgelegte Temperatur im Raum zu halten - eine bestimmte Menge Heizwasser durch den Heizkörper strömen muss. Deswegen sind Thermostatventile bei Erreichen der eingestellten Temperatur immer noch minimal geöffnet anstatt komplett geschlossen. Ist das Ventil beispielsweise bei 20 °C Raumtemperatur noch 0,22 mm geöffnet und die Wintersonne scheint durchs Fenster, würde der Wärmenachschub in den Heizkörper erst bei Erreichen von 21 °C komplett gestoppt werden. In diesem Fall beträgt die Proportionalabweichung vom Istwert (hier 21 °C) zum Sollwert (20 °C) ein Kelvin. Hätte man hier einen alten Thermostatkopf im Einsatz, der eine Proportionalabweichung von 3 K hat, würde der Wärmenachschub erst bei Erreichen von 23 °C Raumlufttemperatur gestoppt. An diesem Beispiel erkennt nicht nur der Fachmann, dass sich durch Austausch eines alten Thermostatkopfes gegen einen mit einer kleineren Abweichung tatsächlich Energie einsparen lässt. Dieser hilft Fremdenergie, wie etwa die Sonnenstrahlung, effektiver zur Raumbeheizung auszunutzen.
Weitere Einflüsse
Nicht nur die Konstruktion des Ventils und des Thermostatkopfes nehmen Einfluss auf die Proportionalabweichung. Ein wesentlicher Punkt ist die richtige Auswahl und Dimensionierung der Heizkörperventile während der Planungsphase. So sorgt ein großer kv- Wert bei einem kleineren Ventil konstruktionsbedingt eher zu einer größeren Regelabweichung als derselbe Wert bei einem Ventil eine Nennweite größer. Der kv-Wert sagt ja bekanntlich aus wie viel Kubikmeter Wasser pro Stunde bei 1 bar Druckverlust durch ein Ventil fließt. Manfred stellt hierzu goldrichtig fest, dass ja das kleinere Ventil im Normalbetrieb weiter geöffnet sein muss als ein größeres. Das bewirkt wiederum, dass der Schließweg des Ventils zum Beispiel 0,33 mm groß ist. Im sonnendurchfluteten Wohnzimmer des Herrn Celsius würde der Wärmenachschub also erst bei 23 °C vollständig zum Erliegen kommen. Die Energieeinsparverordnung beglückwünscht natürlich zu der Umrüstung im Hause Celsius. Das Häuschen stellt sich durch den Einsatz von Thermostatventilen mit geringer Proportionalabweichung deutlich besser dar. Und auch der geschuldete hydraulische Abgleich der Ventile ist gut fürs Celsius-Portemonnaie.
Statt einer An/Aus-Schaltung als Thermostat, wie bei einem schlichten elektrischen Wärmegebläse, arbeiten Heizkörper mit Thermostatventilen. Diese Thermostaten arbeiten als Proportionalregler. Das heißt, wenn die Temperatur im Raum sehr niedrig ist, ist das Ventil weit geöffnet. Je näher die Temperatur dem eingestellten Wert angenähert ist, umso weiter schließt das Ventil. Bei einer Proportionalabweichung von einem Kelvin ist das Ventil erst komplett geschlossen, wenn die voreingestellte Temperatur um ein Grad überschritten ist. Geselle Volker und Azubi Manfred waren auf alle Fälle sehr froh, dass auch Herr Celsius diesen Sachverhalt verstanden hat und mit neuen Ventilen und Wetterstation wieder glücklich ist.