Die Energiewende hat viele Gesichter. Eines, in das man gerne schaut, ist das der Bürgerenergiegesellschaft Solarcomplex AG aus Singen. Ihr Ziel ist, seit der Gründung im Jahr 2000, die regionale Energiewende in der westlichen Bodenseeregion. Mit inzwischen 40 Mitarbeitern und einem Investitionsvolumen von 100 Mio. Euro entstanden nach und nach 16 Bioenergiedörfer und viele Nahwärmenetze. Neben Wärme aus Biomasse spielen dabei auch Sonnenenergie und Windkraft eine wesentliche Rolle. Das Land Baden-Württemberg fördert regenerative Wärmenetze, wie die in Bonndorf/Schwarzwald. „Seit 2015 sind wir dort eigenverantwortlich tätig, haben allerdings die Unterstützung der Stadt. Wir haben einen Konzessionsvertrag für die Nutzung der Leitungswege, binden die ortsansässige Industrie mit ihrer Abwärme ein und versorgen unter anderem öffentliche Gebäude wie Rathaus, Schule und Stadthalle“, sagt Eberhard Banholzer, Leiter der Technikabteilung und einer der drei Vorstände bei Solarcomplex.
Aus Erfahrung Holzpellets
Banholzer hatte 2018 unter anderem das industrielle Nahwärmenetz für die beiden Betriebe in Deggenhausen/Bodenseekreis realisiert: Sonett (Pionier für ökologische Wasch- und Reinigungsmittel) und Lehenhof Talwerkstätten (Teil der sozialtherapeutischen Camphill-Dorfgemeinschaft Lehenhof). Diese benötigen die Wärme für die Produktion und Raumheizung. Als Nachbarn teilen sie sich seit vielen Jahren schon eine Heizzentrale und waren gemeinsam auf der Suche nach einem Energie-Dienstleister, der für ihren Bedarf ein zeitgemäßes und ökologisch konsequentes Konzept planen und ausführen konnte. Gleichzeitig sollte dieser Dienstleister als Contractor die Investition und den Betrieb der Anlage übernehmen. Solarcomplex ist auf diese Anforderungen spezialisiert.
Man gab hier dem Brennstoff Holzpellets den Vorzug. Der Grund dafür waren die guten Erfahrungen im Hinblick auf Lager- und Entnahmetechnik, Lieferlogistik, Ascheanfall und störungsarmen Betrieb bei Verwendung der mit ENplus zertifizierten Pellets. Als Contractor ist Solarcomplex Eigentümer der Heizungstechnik und verkauft die Wärme zum vertraglich vereinbarten Preis an die beiden Firmen. Das heißt, jede Betriebsunterbrechung oder zusätzliche Wartung mindert den Gewinn.
Ausgewählt wurde ein Holzpellet-Kessel, der zwischen 40,5 kW und 135 kW modulierend läuft. Zusätzlich werden 5–10 kW Abwärme ins Netz eingespeist. Quelle ist eine Kompressorenanlage für Drucklufterzeugung bei Sonett. Und für die Zukunft ist noch das Einbinden von Solarthermie vorgesehen. Den Spitzenbedarf hatte Banholzer mit 180 kW berechnet. Der aktuelle Jahreswärmebedarf beträgt 330 000 Kilowattstunden. Dieser könnte sich durch Erweiterung der Betriebe allerdings auf 500 000 kWh erhöhen. Dann würde die Heiztechnik um einen zusätzlichen Pelletkessel ergänzt. Für Redundanz und Spitzenlast ist ein Ölkessel mit 240 kW installiert, versorgt aus einer schon vorhandenen Tankbatterie im Keller des Gebäudes.
Kostenminderung durch Fernüberwachung
Eingebaute Wärmezähler ermöglichen jederzeit die unkomplizierte Abrechnung der genutzten Energie. Als Contractor möchte Solarcomplex jedoch per WebLog/Internetverbindung sämtliche Daten der Anlage im 50 km entfernten Singen täglich auswerten und bei Bedarf die Heiztechnik optimieren. Die Brennstofflager für Öl mit 7000 Liter und für Holzpellets mit 45 m³ (28 t bzw. 15 000 Liter Heizöläquivalent) werden ebenfalls fernüberwacht, auch von den von Solarcomplex ausgewählten Brennstofflieferanten. So sehen diese Vertragspartner den Füllstand permanent und legen selbst den für sie günstigen Liefertermin fest. Das bringt ihnen finanzielle Vorteile, von denen auch der Contractor profitiert.
Brennstoffentnahme
Eine Pumpe vor dem Brenner des Ölkessels saugt das Heizöl aus dem Tank. Der Anstoß zum Betrieb der Ölpumpe wird über die Heizungsregelung gegeben – das ist nichts Neues. Ähnlich funktioniert es beim Holzpelletkessel mit dem hier installierten Entnahmesystem (auch Austragung genannt). Besteht Bedarf an Brennstoff, erhält die Saugturbine am Kessel den Steuerungsimpuls. Sie ist, einem Staubsauger ähnlich, mit dem „Maulwurf“, einer Saugdüse, verbunden. Diese sitzt im Speicher auf dem Pelletvorrat und bewegt sich als kleiner elektrisch angetriebener Roboter programmgesteuert über die Holzpellets, um das Entstehen eines Trichters zu vermeiden.
Vom Maulwurf werden die knapp 40 mm langen Stifte aus gepresstem Sägemehl durch flexible Kunststoffleitungen mit 50 mm Durchmesser aus bis zu 10 m Entfernung vom Kessel angesaugt. Das Lager kann damit, in der Höhe unabhängig und platzsparend, unterirdisch vor dem Heizraum liegen. Die mit den Pellets angesaugte Luft strömt vor dem Kessel aus der Saugturbine durch eine zweite Leitung in den Speicher zurück. Bewährt haben sich Installationen, bei denen die Kurven der Saugleitung mindestens einen Meter Radius haben. Damit wird mechanischer Abrieb durch die vorbeifliegenden Holzstifte vermieden. Anders beim flexiblen weichen Kunststoffschlauch zwischen Saugdüse „Maulwurf“ und Speicherinnenwand. Dieser wird wie ein Bremsbelag beim Fahrzeug rechtzeitig, d. h. nach ca. 100 t Pellets, ausgetauscht.
Vergleich: Strom vs. Wärme
Nach Angaben des Contractors Solarcomplex werden bei elektrischer Energie in Deutschland mittlerweile 40 % aus erneuerbaren Quellen gewonnen, während es bei Wärme erst 15 % sind. Wenn Projekte wie dieses Schule machen, sollte es gelingen,
das Defizit auf dem Wärmesektor allmählich zu verringern.
Doppelter Gewinn
Holzpellets verbrennen nahezu CO2-neutral und sind in Deutschland regionaler heimischer Energieträger – ein Vorteil für das Klima. Wer sich für den Kauf einer Pelletheizung entscheidet, profitiert zudem von niedrigeren Brennstoffpreisen. Im Vergleich zu den Kosten für fossile Energieträger, die starken Schwankungen unterliegen, ist der Pelletpreis aufgrund der breiten regionalen Holzverfügbarkeit stabil. Er lag in den letzten zehn Jahren im Schnitt rund 30 Prozent unter dem von Heizöl und Erdgas. Heizen mit Holzpellets wird außerdem staatlich bezuschusst: Für den Tausch einer alten Öl- oder Gasheizung gegen eine moderne Pelletheizung gibt es mindestens 4200 Euro Förderung über das Marktanreizprogramm (MAP) und das Anreizprogramm Energieeffizienz (APEE) des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA).
Quelle: Auszug aus einer Pressemitteilung des Deutschen Pelletinstituts (DEPI) vom 23.05.2019