Unser Bedarf an "virtuellem Wasser" ist riesig. Egal ob Nahrung oder Kleidung, jedes Produkt, verschlingt unvorstellbare Mengen Wasser in seiner Herstellung. Folge: Die Wasserkrisen in den zumeist trockenen Produktionsländern verschärfen sich.
4.000 Liter - so viel Wasser verbraucht jeder Deutsche täglich. Nicht etwa durch Duschen, Zähneputzen oder Wäschewaschen, sondern durch die Produkte, die wir Tag für Tag konsumieren: Wein, Kartoffelchips, Brot, Tomaten, oder der
Mikrochip in unserem Computer, all diese Erzeugnisse hinterlassen während ihrer Herstellung einen "Wasser-Fußabdruck". Dahinter verbirgt sich jene Menge "versteckten" oder "virtuellen Wassers", die für die Produktion von Gütern vornehmlich in Dritte Welt- und Schwellenländern benötigt wird.
Besonders hoch ist der Wassereinsatz in der Fleischproduktion. Angesichts des hohen Fleischkonsums in den USA erklärte Daniel Zimmer, Leiter des Unesco-Instituts in den Niederlanden:
"Wenn die ganze Welt so viel virtuelles Wasser verbrauchen würde wie die Menschen in Nordamerika, bräuchte die Welt 75 Prozent mehr Wasser für die Nahrungsmittelproduktion als heute".
Bohrungen in die Geschichte der Erde
In China, Pakistan oder Indien fällt der Grundwasserpegel immer weiter. Die Wirtschaft im Nahen Osten fördert dutzendmal so viel Wasser zu Tage, als sie wieder auffrischen kann. Bauern und Farmer sind mittlerweile gezwungen, immer tiefer zu bohren, um an den kostbaren Bodenschatz zu gelangen. In Brasilien und Argentinien haben Bauern bereits begonnen, fossiles Wasser
abzupumpen, Wasser also, das während der Entstehung der Erde eingeschlossen wurde und seither keinen Kontakt mit der Oberfläche hatte. Da aber auch diese jahrtausend Jahre alte Vorräte nicht erneuert werden, könnten auch diese Quellen schon bald versiegen. Umweltexperten befürchten in naher Zukunft sogar Kriege um das blaue Gold. Expotentielles
Bevölkerungswachstum und klimatische Veränderungen fördern diese heikle Situation. Warum ist es im bereits ausgetrockneten Nahen Osten trotzdem noch nicht zu Konflikten gekommen ist? Weil die ausgedörrten Staaten dank ihres Ölreichtums virtuelles Wasser importieren können - in Form von Landwirtschaftsprodukten wie Mais oder Weizen.
Geprägt wurde der Begriff "virtual water" durch den britischen Geographen Tony Allen.
Für den Berliner Trinkwasserspezialisten Andreas Grohmann beschreibt dieser Begriff "Wasser, das zur Herstellung von
Produkten benötigt (oder durch Verschmutzung unbrauchbar gemacht) wird - und am Ort der Verwendung der Produkte eingespart wird". Während in Deutschland mit dem Wasser immer bewusster umgegangen wird, verlagern wir unsere Wassernutzung zunehmend ins Ausland. Treibende Kraft hinter diesem Anzapfen weit entfernter Ressourcen ist einmal mehr die globalisierte Wirtschaft.
Preiskampf und die Suche nach immer billigeren Herstellungsmöglichkeiten, verschiebt die Produktion von Gütern ausgerechnet in jene Länder, die sowieso schon von Wasserknappheit betroffen sind. Allein für die Ernte von einem Kilo Baumwolle werden durchschnittlich 8.000 Liter Wasser zur Bewässerung verbraucht, die weitere Verarbeitung noch nicht eingerechnet. In einem Steak stecken beispielsweise 5.000 Liter virtuelles Wasser. Nicht nur die Tiere verlangen nach Wasser, sondern auch die Futterpflanzen, die für das Schlachtvieh angebaut werden müssen. Für eine Tonne Weizen, fallen schon 1.000.000 Liter Wasser an. Die Zahlenspiele lassen sich beliebig fortsetzen. Hinzu kommt noch die Verschmutzung durch Dünger und Pestizide, die das Grundwasser belasten und die vielerorts ineffiziente Wassernutzung. Was unter dem Strich bleibt ist
die Nutzung von Ressourcen auf Kosten des Wasserhaushalts der armen Länder. Wer es sich leisten kann, importiert wasserverschlingende Produkte und schont seine Wasserreserven.
Ohne Wasser kein Tourismus
Die ungleiche Wassernutzung macht sich aber nicht nur auf den südamerikanischen Sojaanbauregionen bemerkbar. Auch in Europa sind die Auswirkungen deutlich spürbar, wenn jeden Sommer Scharen von Touristen in die Mittelmeerländer strömen. Ausgerechnet in der Dürrezeit belastet der Wasserbedarf der Urlauber den Wasserhaushalt vieler Ferienregionen wie
Spanien oder Griechenland weit über die Kapazitätsgrenzen hinaus. Deutschland gehört weltweit zu den Top10-
Importländern von virtuellem Wasser, in Form von Kakao, Kaffee und Reis. Wasserexporteur Thailand hingegen benötigt ein Viertel des weltweit genutzten Wasser für die Produktion von Export-Nahrungsmitteln wie Reis. Thailand führt also mehr
Wasser aus, als es wieder einführen kann. Daran wird die zunehmende Globalsierung auch nichts ändern, ganz im Gegenteil. Der virtuelle Wasserexport wird weiter steigen.
Wassergefälle zwischen den Nationen
Experten haben daher die Überlegungen angestellt, ob sich das Wasserproblem nicht durch eine neue wirtschaftliche Ausrichtung beheben lässt: Anstatt wasserreiche Güter wie Getreide und Gemüse auszuführen, sollten diese von den trockenen Ländern doch lieber eingeführt werden. Ein eigentlich recht simpler Ansatz, der aber an den Gesetzen der Wirtschaft zerschellt: Da wasserarme Länder zumeist auch wirtschaftlich angeschlagen sind, können sie die teuren Importe erst gar nicht finanzieren. Hinzu kommen politischen Barrieren. Wassermangel führt in eine Abhängigkeit, der sich kein Staat aussetzen möchte. Oft sind es daher Hilfszahlungen der Industrienationen, die das dramatische Wassergefälle auszugleichen versuchen. Fakt ist: Ohne den Import von Produkten, die während ihrer Herstellung viel Wasser verbrauchen, würde die Lebensmittelversorgung in einigen Ländern zusammenbrechen. Laut der UNESCO haben die Länder im Nahen Osten und
Nordafrika seit Ende der Achtzigerjahre rund 40 Millionen Tonnen Getreide und Mehl importiert - das entspricht ungefähr den Wassermassen, die der Nil durch ganz Ägypten transportiert.
Virtuelles Wasser im Einkaufskorb
Virtuelles Wasser begleitet jeden unserer Einkäufe. Jede Tomate aus Südspanien, jedes Steak aus Argentinien hat seinen Wasserpreis. Allein dem Verbraucher ist es letztlich überlassen, wie viel kostbares Wasser ihm seine Produkte wert sind.